Dem ist genauso.
Meine unbewussten Beweggründe waren damals ganz andere. Erst während des Studiums wurde mir bewusst, warum ich mich im Auto nur angeschnallt auf einem Kinder-/Reha-Sitz wohlfühlte.
Aufgrund meiner teilweise massiven Wahrnehmungsstörungen empfand ich es als sehr entspannend, eingeengt und festgeschnallt zu sein. Wenn ich mich in der Sitzschale, in den Gurten "hängen" kann, werde ich weniger von den Reizen des fahrenden Fahrzeugs überflutet. Als Kind und Jugendlicher konnte ich diese Reize kaum filtern und in den Hintergrund drängen. Heute hat sich das zum Glück etwas gebessert. Aber dieses Symptom meiner Behinderung ist nicht ganz verschwunden. Mehr dazu weiter unten...
Deshalb war es mir als 10-Jähriger und auch später eigentlich egal, was andere darüber dachten. Mein Sitz im Auto tat mir gut. Ohne ihn war ich überfordert. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass ich anders bin, und so war es mir damals egal, was andere darüber dachten. Es gab noch viel peinlichere Themen: Meine Windeln, unter anderem.
Jeder Mensch ist ein Individuum und einzigartig. Jedes Kind ist es auch, und es spielt keine Rolle, ob es eine Beeinträchtigung oder Krankheit hat oder nicht.
Natürlich war/bin ich selbst in vielerlei Hinsicht weit von der Norm entfernt. Ich bin und war mir meiner Andersartigkeit immer bewusst. Ich bin nicht dumm und habe daher sehr früh verstanden, dass ich nicht "normal" bin. Verstehen und Akzeptieren sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Letzteres hat viele Jahre gedauert. Mehr dazu weiter unten...
Meine Eltern waren immer der Meinung, dass "der Noah" (also ich) so weit wie möglich wie seine nicht-behinderten Geschwister aufwachsen sollte. Sie hatten damit kein einfacher Weg gewählt. Weder für sie selbst noch für mich. Mehrmals wurden sie gedrängt, mich in einem Behindertenheim unterzubringen. Mit eisernem Willen haben sie sich aber immer geweigert und dafür bin ich ihnen heute sehr dankbar. Ich bin während meiner gesamten Schulzeit auf eine "normale" öffentliche Schule gegangen. Ich wäre wahrscheinlich nie so weit gekommen, wie ich heute bin, wenn ich nicht in der Welt der "Normalen" aufgewachsen wäre und immer dort gelebt hätte.
In diesem Thread geht es um Autositze. Dennoch möchte ich hier auf deinen Kommentare zu dem Zitat von Sir Tom Shakespeare eingehen. Ich muss mich jetzt bemühen, es nicht zu lang zu machen. Ich habe oft Mühe, mich kurz zu fassen.
Ich denke du (Baby.Boy) hast den Punkt den Shakespeare im Zitat in meiner Signatur macht nur unvollständig verstanden. Sorry, für diese Unterstellung. Nicht böse gemeint.
Google einmal nach "Tom Shakespeare". Dann wirst du vieles von dem, was er sagt, in einem anderen Licht sehen. Ich bin immer wieder beeindruckt von diesem Mann. Seine Bücher "Disability Rights and Wrongs" und "Disability Research Today" haben mein persönliches Denken in einigen wichtigen Punkten wirklich verändert.
Shakespeare ist eben nicht der Meinung, dass man den Begriff "Behinderung" ("Disability" im Original) vermeiden sollte. Er sagt nur, dass 100% aller Menschen zumindest zeitweise in ihrem Leben behindert "sind/waren/sein werden." Jedes Baby und viele Seinoren erfüllen alle Definitionskriterien einer "Behinderung". Somit sind alle Menschen als "behindert" zu betrachten. Eine "Behinderung" ist also die Regel und nicht die Ausnahme. Die Frage ist nur, wie viel "Normalität" wir im Laufe unseres Lebens erreichen können. Wobei diese "Normalität" sehr individuell ist. Auf dem Weg zu dieser individuellen "Normalität" können wir von anderen aufgehalten werden. Und dieses "Zurückgehaltenwerden" ist die eigentliche "Behinderung"."
Wie kann nun "Behinderung" im Lichte der von dem Soziologen Tom Shakespeare geäusserten Gedanken aussehen? Vier Beispiele:
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Ich selbst brauchte mehrere Jahre Psychotherapie, um dies nicht nur zu verstehen, sondern auch zu verinnerlichen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich war, dass auch so genannte "nichtbehinderte" Menschen sich nicht als "perfekt" erleben. Ich dachte immer, das sei nur bei mir der Fall. Und damit sind wir wieder bei den Gedanken von Shakespeare.
- Ich habe viele jüdische Verwandte. Sie werden regelmässig abgewertet, latent oder offenkundig. Das geht von dummen Bemerkungen über Diskriminierung bis hin zu Anspucken oder Gewalt. Alle haben, wie ich, einen Nachnamen, der eindeutig als jüdisch zu erkennen ist, wenn man sich auskennt. Meine Eltern, meine Geschwister und ich sind keine Juden. Aber wir sind jüdischer Abstammung. Ich selbst habe selten erlebt, dass ich deswegen "behindert" wurde. Meiner Schwester ist es vor ein paar Jahren passiert, dass man ihr bei einem Vorstellungsgespräch ganz offen gesagt hat, dass man keine Juden einstellen würde, obwohl sie die beste Bewerberin war. Das sind "Behinderungen" im Alltag, welche die "Normalität" einer ganzen ethnischen Gruppe verletzt.
.- - Einer meiner Freunde ist von ADHS betroffen. Er wird oft als "dumm" hingestellt, obwohl er einen PhD hat und einen Job mit viel Verantwortung und wenig Vorhersehbarkeit erfolgreich inne hat. Sein "Fehler" ist meist nur, dass er redet, bevor er denkt. Aus diesem Grund wurde er oft übergangen und zurückgestellt. Aber wenn man ihm die Gelegenheit gibt, zu zeigen, was er kann, ist er einer der Besten. Er verfügt über eine hohe emotionale, soziale, aber auch kognitive und praktische Intelligenz. Seine Kreativität und sein Improvisationstalent kennen kaum Grenzen. Ein Universalgenie und Kosmopolit. Und genau das ist es, was ich an ihm mag. Aber wenn ihm das Vertrauen entzogen wird, ist er blockiert. Wenn er nicht "behindert" wird, zeigt er in allen Bereichen eine überdurchschnittliche "Normalität."
.- Ein guter Freund von mir ist dunkelhäutig. Er ist Secondo, tamilischer Abstammung. Aber er ist zu 100% hier aufgewachsen und sehr gut integriert. Seine ganze Familie hat den Schweizer Pass. Er ist Hauptmann in der Schweizer Armee. Sein Lieblingsessen ist Raclette und in Sri Lanka fühlt er sich wie ein Ausländer. Tamilisch versteht er nicht. Er spricht perfektes Schweizerdeutsch und sein Vornamen ist "Daniel". Sein Nachname ist allerdings 26 Buchstaben lang und für mich unaussprechlich. Deshalb und wegen seiner Hautfarbe hat er immer wieder Probleme. Ihm wird oft gesagt, dass er als Ausländer nichts zu sagen hat und dass er versuchen soll, sich anzupassen. Diese latent rassistischen Vorurteile "behindern" ihn immer wieder massiv. Obwohl seine "Normalität" viel schweizerischer ist als die von vielen anderen.
.- Ich habe Jahre lang bewusst und unbewusst gedacht, dass ich "nomal" sein müsste. Man sieht mir meine geistige Behinderung nicht an. Wenn du mich treffen würdest, würdest du nie denken, dass ich geistig behindert bin. Ich habe gelernt, ganz "normal" zu spielen. Ich habe gelernt, meine Behinderung zu verbergen. Mir wurde von Fachleuten gesagt, dass sie mich nicht als autistisch erkennen würden. Natürlich ist meine Innensicht eine ganz andere: Es ist ein ständiger Kampf, dieses Versteckspiel zu spielen. Dieser ständige Vergleich mit den "Normalen" führte zu extremem Stress und zur Depressionen. Erst als ich verstand, dass ich mich mit diesem ständigen Vergleich selbst "behinderte", fand ich einen Weg aus dieser Depression.
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Es hat mir sehr geholfen, zu akzeptieren, dass ich "behindert" bin. Es hat mich von dem Druck befreit, "normal" sein zu müssen/wollen. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich werde nie so "normal" sein wie der Durchschnitt. Aber ich muss mich von diesem Umstand nicht "behindern" lassen. Ich habe diese Freiheit. Das ist meine Entscheidung.
Die zweite wichtige Erkenntnis war, dass der Durchschnitt nicht erstrebenswert ist. Wer will schon "nur" Durchschnitt sein? Wenn ich mich dem Durchschnitt anpassen würde, wäre ich sehr langweilig und wahrscheinlich nicht glücklicher.
Ich kann meine individuelle "Normalität" selbstbewusst leben. Sie akzeptieren und das Glück darin finden. Und wenn andere mich auf diesem Weg "behindern", kann ich sie genauso selbstbewusst spiegeln. Nicht unfreundlich, rücksichtslos oder frech, sondern "normal", so wie es selbstbewusste "Normale" tun würden, wenn sie "behindert" werden. Seit ich dies lebe und in meine Identität integriert habe, fühle ich mich viel besser und bin für mein Umfeld viel erträglicher geworden. Wir "behindern" uns gegenseitig viel weniger.
Als hochintelligenter Asperger-Autist ist man sich seiner Andersartigkeit und der eigenen Schwächen sehr bewusst. Man ist intellektuell in der Lage sie bis ins kleinste Detail sezieren. Aber durch wird es nur noch komplizierter. In diesem Punkt haben es "tieffunktionale" Autisten, die mit weniger Intelligenz gesegnet sind, wahrscheinlich einfacher. Als hochfunktionaler Autist lernt man entweder seine Behinderung zu akzeptieren und die Vorteile daran zu nutzen - die es ohne jeden Zweifel gibt - oder man wird depressiv und psychisch krank. Letztlich ist es die Frage, ob man das Gals halb leer oder halb voll sehen möchte. Ich habe in meinem Leben gerade noch rechtzeitig diese Kurve gekriegt und lebe deshalb momentan sehr erfolgreich und für meine Möglichkeiten sehr ausgeglichen. Ich bin sehr dankbar und zufrieden. Das Glas ist heute trotz allen Schwierigkeiten mehr als nur halb voll für mich!
Die Psychotherapie hat so viel Gutes in meinem Leben bewirkt. Es war eine der besten Sachen, die ich je gemacht habe. Am Anfang war die Therapie sehr schwierig, aber es wurde immer besser. Am Ende war ich wirklich traurig, weil sie vorbei war. Ich kann es allen "normalen" und "behinderten" Menschen nur empfehlen.
Wie ich nun erläutert habe, sind die Gedanken, die Tom Shakespeare in dem Zitat so treffend zusammenfasst, viel umfassender und radikaler als die Inklusionsbewegung. Shakespeare übt scharfe Kritik an der aktuellen Inklusionsbewegung und deckt schonungslos deren Doppelmoral auf.
Die heutige Inklusionsbewegung geht immer von einer Anpassungleistung - idealerweise von beiden Seiten – aus und vergisst zu oft die Bedürfnisse des Einzelnen. Ein "Behinderter" kann sich oft nicht so einfach anpassen. Genau dieser Anpassungsstress hat mir selbst fast mein Leben gekostet. Und ich bin nicht der Einzige.
Auch der "normale" Durchschnittsmensch muss sich nicht anpassen. Das wäre genau so falsch und unrealistisch. Die Durchschnittsgesellschaft sollte auf keinen Fall ihre Ansprüche senken, um "Behinderte" zu integrieren. Aber genau das wird heute in den Inklusionsklassen gemacht, was eindeutig eine Diskriminierung des Durchschnitts darstellt.
Ein weiteres Zitat von Shakespeare in Bezug auf die Inklusion lautet:"Disability is never a one-way street." (Behinderung ist nie eine Einbahnstrasse.) Auch der "Behinderte" ist gefordert die Bedürfnis der anderen zu beachten und respekteiren. Shakespeare spricht davon, sich immer Gedanken darüber zu machen, wo Menschen sich gegenseitig Steine ("Behinderungen") in den Weg legen. Sein Ansatz hat die Bedürfnisse aller im Blick. Auch die der "Nicht-Behinderten". Jeder darf so "normal" bleiben, wie es für ihn gut ist. Shakespeare fordert ein Zusammenleben auf Augenhöhe und im Bewusstsein der eigenen Schwächen. Die jeder hat.
Ich selbst bin "inkludiert" aufgewachsen, wie man heute sagen würde. Das war gut für mich. Aber es hatte auch seine negativen Seiten. Es war für alle anstrengender als wenn ich einem spezialisierten Einrichtung erzogen worden wäre. Und nicht jeder Autist wäre in der Lage gewesen, diese Nachteile zu ertragen. Die heutige Inklusionsbewegung geht oft sehr leichtfertig über die Bedürfnisse der Schwächeren oder des Durchschnitts hinweg. Leider. Shakespeare hatte mir auch in diesem Punkt die Augen geöffnet.
So, nun genug "off topic".
Zurück zum Autositz:
Ich spiele schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, mir ein Reha-Gurtsystem zuzulegen, für längere Autofahrten als Beifahrer. Heute kann ich als Beifahrer viele Stunden ohne Gurt im Auto sitzen. Aber so richtig entspannt ist das nie. Ich bin immer irgendwie angespannt, wenn ich in einem fahrenden Auto sitze. Als Kind habe ich sogar geschlafen, wenn ich angeschnallt war, so entspannt war ich.
Ich kann nur etwa eine Stunde am Stück selbst Auto fahren. Wenn ich selbst das Fahrzeug steuere, ist diese Grundspannung wahrscheinlich sogar nützlich, weil sie meine Aufmerksamkeit erhöht. Aber als Beifahrer würde ich mich gerne entspannen können. Ein Reha-Gurtsystem könnte mich dabei wahrscheinlich unterstützen. Das würde ich gerne einmal ausprobieren.
Beispiele für Reha-Gurtsysteme:
https://rehakind.com/hilfsmittel/tho...opus-autositz/
https://www.rehatec.ch/files/rehatec...EST_SIPO_D.pdf
Hat jemand hier Erfahrungen mit einem solchen Reha-Gurtsystem?