Meine Erfahrungen mit Zahnspangen sind sehr ambivalent.

Als Jugendlicher musste ich drei Jahre lang (14 bis 17) eine feste Zahnspange tragen und habe sie von ganzem Herzen gehasst. Heute bin ich aber sehr dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, meinen Kreuzbiss korrigieren zu lassen. Es war wirklich keine Frage der Kosmetik. Vorher konnte ich nie richtig zusammenbeissen. Heute habe ich ein perfektes Gebiss. Ich kenne Menschen die lange eine sehr ähnliche, aber unbehandelte Fehlstellung hatten/haben, weil sie erst als Erwachsene oder gar nie behandelt wurden. Die haben heute alle sehr grossen Probleme mit den Kiefergelenken und der Gesichtsmuskulatur. Eigne haben nun sogar künstliche Kiefergelenke.

Die Fehlstellung wird in unserer Familie vererbt und alle meine Geschwister mussten sich der gleichen Behandlung unterziehen, wie ich. Auch meine Eltern, Tanten und Onkel, sowie viele Cousins und Cousinen mussten als Teenager deswegen eine Zahnspange tragen. Deshalb wusste ich damals sehr genau, was auf mich zukommen würde. Mein grosser Bruder, der seine Zahnspange zwei Jahre vor mir bekam, hatte oft starke Schmerzen und konnte tagelang kaum etwas essen. Wegen meinen Überempfindlichkeiten wusste niemand, wie ich darauf reagieren würde. Weil sie es beide selbst erlebt hatten, nahmen sich meine Eltern damals viel Zeit, um mir klarzumachen, dass die feste Zahnspange kein "Kindergeburtstag" werden würde. Sie machten mir mehrfach klar, dass es, wenn die Behandlung erst einmal angefangen hatte, kein Zurück und kein Abbruch geben würde. Das hätten sie nicht akzeptiert. Ich musste ihnen deshalb mehrmals mein Einverständnis für die Behandlung geben. Obwohl ich erst 14 Jahre alt und wegen meiner Andersartigkeit unreifer als meine Altersgenossen war, sagten sie mir damals mehrfach: "Es sind deine Zähne, du selbst wirst Schmerzen ertragen müssen und deshalb musst letztendlich du allein zustimmen. Wir unterschrieben nichts, wenn du es nicht wirklich willst!" Weil ich ein gesundes Gebiss wollte und mir alle Argumente dafür einleuchteten, stimmte deshalb etwas widerwillig zu. In den Wochen vor dem Behandlungsbeginn. hatte ich grosse Angst davor und meine Windeln wurden deshalb immer sehr gut feucht und braun. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes grossen Schiss. Obwohl mir alle mein Gefühle zu Gegenteil rieten, habe ich eisern und rein intellektuell an meinem Entschluss festgehalten. Nicht zuletzt auch weil: "Was mein grosser Bruder durchstehen kann, kann ich schon lange!"

Weil ich es nicht ertragen kann, wenn man mich anfasst, wurde ich für die Voruntersuchungen sediert und für das Einsetzen sogar komplett narkotisiert. Als ich wieder erwache, erwartete ich Scherzen. Aber ich spürte nur ein starkes Druckgefühl. Keine Schmerzen. Für die Kontrolluntersuchungen bekam ich jeweils Lachgas, und wenn es länger dauerte, wurde ich erneut sediert. Deshalb habe ich die Sitzungen beim KFO fast immer gut vertragen, obwohl er mich intensiv anfassten musste. Daran habe ich keine negativen Erinnerungen. Es gab nur zwei Termine, bei denen ich trotzdem ausgeflippt bin und wir entscheiden einen Tag später weiterzumachen.

Es stellte sich heraus, dass ich viel weniger schmerzempfindlich war als meine Geschwister. Von meinen Geschwistern, hatte nur mein jüngster Bruder eine noch stärkere Fehlstellung als ich. Es lag deshalb nicht daran, dass meine Behandlung irgendwie sanfter gewesen wäre. Wahrscheinlich lag es an meiner andersartigen Reizverarbeitung. Ich spürte immer nur einen starken Druck oder ein starkes Ziehen nach dem Nachziehen oder einem Bogenwechsel. Daher war der Schmerz für mich immer sehr gut zu ertragen.

Allerdings war ich damals sehr genervt, dass ich nicht mehr wie gewohnt essen konnte. Alles blieb hängen und ich musste auf vieles, sehr vieles ganz verzichten. Auf weit mehr, als meine Geschwister, weil mein Empfinden beim Essen scheinbar anders ist. Beim Sprechen hatte ich, solange die feste Spange drin war, immer das Gefühl, dass meine Lippen irgendwie hängen blieben. Sehr unangenehm! Auch beim Sport musste ich wegen der Zahnspange vorsichtiger sein. Sehr genervt war ich auch von den Gummibändern, die ich die ganze zweite Hälfte der Behandlung immer tragen musste. Die waren immer und bei allem im Weg. Ich empfand all diese Reize irgendwie stärker als meine Geschwister. Und es gab bei mir kaum einen Gewöhnungseffekt: Meine Geschwister sagten, dass sie die Zahnspange nach einer Weile - wenn die Schmerzen abgeklungen waren - nicht mehr wahrnahmen. Bei mir war das nie der Fall. Ich empfand immer ein "Fremdkörpergefühl." Ich gewöhnte mich die ganzen drei Jahre nie wirklich an die feste Zahnspange.

Obwohl ich keine wirklichen Schmerzen hatte, war es eine einzige grosse Qual. Obwohl ich alles intellektuell sehr gut verstanden habe und ich selbst die Behandlung wirklich durchzeihen wollte, hat mich die Spange damals im Alltag immer sehr, sehr gestresst. Heute könnte ich damit sicher viel gelassener umgehen als damals, weil ich viel reifer und stabiler geworden bin. Ich kenne mich selbst heute viel besser und kann mit Stress (Overload) besser umgehen.

Nachdem die feste Zahnspange (wieder in Vollnarkose) rauskam - worüber ich natürlich sehr froh war - bekam ich zwei dünne herausnehmbare Retainer. Die musste ich 1 Jahr lang ganztags(+nachts) und dann nur noch nachts tragen. An diese Retainer-Platten habe ich mich - im Gegensatz zur festen Zahnspange - sehr schnell gewöhnt. Ich weiss nicht genau wieso? Vielleicht weil ich sie beim Essen oder beim Sport einfach rausnehmen konnte? Weil sie beim Sprechen kaum stören? Oder einfach, weil die schwierige Zeit der Pubertät vorüber war? Ich weiss es nicht gnau?

Obwohl die Behandlung nun schon lange vorbei ist, trage ich diese Retainer immer noch jede Nacht. Es ist zu einer meiner festen Gewohnheiten geworden. Ich mag es sehr, wenn ich meine Retainer nachts im Mund spüre. Ohne sie vermisse ich heute etwas und fühle mich unwohl nachts.

Ups! Jetzt habe ich viel mehr geschrieben, als ich ursprünglich wollte. Ich hoffe, ich werde niemanden damit langweilen?