Hallo, liebe Communitymitglieder,
als Einstimmung ins neue Jahr möchte ich Euch mal mit einem sehr interessanten, aber sicher auch provokanten Zitat von Sigmund Freud konfrontieren, das dieser in seinem Werk "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (1949), das sich unter anderem auch mit Fetischismus auseinandersetzt, im Kapitel "Die sexuellen Abirrungen" unter der Absatzüberschrift "Die seelische Beteiligung bei den Perversioinen" geschrieben hat:
"Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muss man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebs anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten aneinander ("vom Himmel durch die Welt zur Hölle")" Zitatende.
Zunächst einmal: Natürlich distanziere ich mich aufs Schärfste von Formulierungen wie "abscheuliche Perversionen", "greulichen Erfolges" und "Hölle", soweit es um Dinge geht, die anderen nicht schaden. Bedenkt: Der Text wurde zu einer Zeit geschrieben, als kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, selbst Homosexualität als etwas anderes zu sehen als eine Krankheit.
Trotz solcher dem Zeitgeist geschuldeter Formulierungen enthält der Text zwei bemerkenswert moderne Gedanken, die Freud, wie ich finde, als echten Freigeist ausweisen, der über seine Zeit hinauswächst:
1.) Jede Form sexuellen Erlebens ist seelische Arbeit, die anerkannt werden kann.
Und - für die damalige Zeit fast noch unglaublicher-:
2.) In jeder Ausprägung sexuellen Verhaltens zeigt sich die Idee einer (offenbar übergeordnet zu denkender) Liebe.
Ob Freud das selber so formuliert hätte, wage ich zwar zu bezweifeln, aber von seiner Formulierung bis zu dieser Formulierung ist es nur ein winziger Schritt. Ob ihm die Tragweite seiner Formulierung bewusst gewesen ist, ihm, dem Meister des Unbewussten?
Ich finde, mit derartigen Formulierugen wurde sogar ein Ausgangspunkt gelegt für den (zugegeben noch weiten und bis heute nicht ganz zu Ende gegangenen) Weg, der weg von der Fokussierung der äußeren Norm und hin zur Fokussierung des subjektiven Erlebnisses führt.
Nun soll der Beitrag nicht dazu dienen, über Freud zu schwärmen. Zum Glück sind einige der Ansätze von "Old Ziggy" mittlerweile ja schon wieder sehr relativiert worden, und insbesondere unseren weiblichen Mitbürgern ist er wohl nicht immer gerecht geworden...
Aber ich finde, zu einem spannenden Denkanstoß und vielleicht einer schönen (pseudo-)wissenschaftlichen Diskussion eignen sich seine Worte doch allemal.
Bin auf Reaktionen gespannt.