In einem dunklen Spiegel, durch die Tiefe des Sturms
Zitat:
An diesem Nachmittag im Herbst teilte das Glas der Fensterscheibe die beiden Seiten in zwei distinkte Welten. Lisas Wohnzimmer: warm, gemütlich, beschützt und eine Kanne Tee auf dem Stövchen. Die Welt da draußen: Sturm, Regen, Kälte, das schwindende Licht einer herbstlichen Dämmerung.
Natürlich war Lisa vom Sofa aufgestanden und stand am Fenster, den Blick in den Herbststurm gerichtet. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie hier schon stand, versunken in die Welt da draußen. Wasser, das an die Fensterscheibe geworfen wurde und in Strömen die äußere Scheibe hinab lief. Wolken, tief wie bei einer Heimsuchung, akzentuiert durch dunkle und noch viel dunklere Grautöne, die bloße Existenz der Sonne vergessen machend. Wind, der stürmisch die Gartenmöbel der alten Dame unten auf den Rasen geweht hatte, die Äste der Bäume peitschte und von Seite zu Seite warf; nach und nach wurden sie mit Vehemenz entkleidet, in den letzten dreißig Minuten waren die Bäume dem Winter näher gekommen als in den letzten dreißig Tagen.
Casper stand – wie um sie zu schützen - auf allen Vieren zwischen Lisa und der Scheibe auf dem Fensterbrett. Das lediglich leichte Wedeln seines Schwanzes wirkte so, als könnte er sich nicht recht entscheiden, ob er sich Sorgen ob des Sturms machte oder doch eher auf das von der zugleich so nahen und doch so fernen Welt trennende Glas vertraute. Ein Blatt der Ahornblättrigen Platane an der Grenze zum Nachbargrundstück tauchte aus dem Tohuwabohu umhergeworfener Natur auf, klatschte gegen die Scheibe und sank, getrieben von den Wasserströmen, langsam - direkt vor ihnen - hinab. Casper tatzte gegen die Glasscheibe, in einer Mischung aus instinktivem Jagdtrieb und dem Wissen, dass auch hier das Glas sie auf zwei unterschiedliche Welten aufteilte. Ein wenig belustigt streichelte Lisa ihrem Kater das Köpfchen und als er es ihr erwartungsvoll entgegenstreckte kraulte sie ihn sanft.
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AW: In einem dunklen Spiegel, durch die Tiefe des Sturms
Dann mache ich mal den Anfang. Kommentiere eher selten, sollte es aber öfter tun.
Der Anfang der Geschichte gefällt mir sehr gut, etwas geheimnisvoll und läßt einen gespannt auf die Fortsetzung zurück.
Ist auch vom Stil sehr gut geschrieben und nicht nur eilig zu Papier gebracht.
Freue mich schon auf den nächsten Teil.
Grüße
AW: In einem dunklen Spiegel, durch die Tiefe des Sturms
Generell fand ich es gut geschrieben aber ich frage mich, wo es hingehen soll. Mir war es allerdings bis hierher beinahe zu langatmig und die Windel ist etwas zusammemhangslos aufgetaucht. Auch hatte über die imaginäre Person noch etwas mehr Kontext nicht geschadet: wer ist das? Seid wann ist er weg? Wieso?
AW: In einem dunklen Spiegel, durch die Tiefe des Sturms
Danke, dass ich diese Geschichte hier posten durfte! :)
Nachdem zuvor mein Account einer automatischen Löschung anheim gefallen war ;) war ich durch mein altes Archiv gegangen und hatte geschaut, welche Geschichten ich hier noch nicht veröffentlicht habe. Diese Geschichte entstammt wie auch die Geschichten von Giaci und Oskar aus dem Kuddelmuddel-Geschichtenwettbewerb zum Thema Herbststurm von vor einigen Jahren. Ich dachte, sie funktioniert ganz gut, um zu beweisen, dass ich der gleiche Traumtänzer bin wie der letzte ;)
Wie meine Geschichten 90.+X [1], vielleicht auch Tausend Mal quer [2] und Und ob ich schon wanderte im finstern Tal [3] ist sie eher experimentell. Das Ziel war es damals, die Kraft des Sturms auch sprachlich fühlbar zu machen, sowohl von Rhythmus wie auch Wortwahl. Zugleich setzt sich die Geschichte mit bekannten Motiven unserer Szene auseinander wie Einsamkeit, der Angst vor Commitment jenseits einer Onlinebeziehung oder dem verzehrenden Wunsch nach dem (gemeinsamen) Ausleben der eigenen Träume auseinander. Lisas findet nur noch Ruhe wenn Sturm ist, sonst ist der Sturm ihr Leben. Ganz am Ende erkennt sie, dass, wer den Herbststurm (angstfrei) überstehen kann auch mutig genug fürs ganze Leben sein kann. Oder, anders betrachtet: dass es sich lohnt, für seine Wünsche zu kämpfen.
In diesem Sinne danke für euer Feedback, das mich gefreut hat! :) Sicher wäre die Perspektive von „ihm“ ;) auch spannend, aber wir müssen dieser Kurzgeschichte zubilligen, dass es um Lisa geht. Eine mehrteilige Geschichte, die ich gepostet habe, wäre zum Beispiel Tage im März [4].
Viel Spaß beim Lesen! :)
[1] Geschichte ist wohl nicht mehr verfügbar + Kommentare
[2] Geschichte + Kommentare
[3] Geschichte + Kommentare
[4] Geschichte + Kommentare
AW: In einem dunklen Spiegel, durch die Tiefe des Sturms
Ich finde das sehr gut geschrieben, nicht gleich so brachial mit der Windel gewedelt, sondern so wie gute Geschichten geschrieben werden, langsam aufbauend, fettes Kompliment von mir