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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Lange überfällig



Pontus
06.07.2025, 16:28
Ich lese und schreibe hier schon eine Weile mit. Und damit man mich und mein geschriebenes besser einsortieren kann, dachte ich, es wird Zeit mal ein wenig über mein Hintergrund zu schreiben.

Einen Hang zu Windeln habe ich lange ich mich erinnern kann. Dazu kam, dass ich lange Nachts eingenässt habe. Mit der Adoleszenz hat das ganze aufgehört und tatsächlich habe ich auch keinen Gedanken mehr an Windeln verschwendet. Ich hatte das Thema komplett vergessen.

Vor dem Zivildienstes fing bereits eine Agoraphobie an zu gären. Ein Reizdarm hatte mich schon versteckt mein Leben lang begleitet, ohne dass der je wirklich zur Sprache kam oder behandelt wurde. Das ganze gipfelte irgendwann darin, dass ich vor Angst beinahe nicht mehr einkaufen gehen konnte.

Während dem Zivi kam ich dann wieder in Kontakt mit Windeln und das mit einem Donnerschlag. Ich habe völlig naiv und ohne Gedanken eine Molicare Classic (die blauen Papiertaschentücher) in die Hand genommen und meine Welt ist stehen geblieben. So viele Erinnerungen, Gedanken, Gerüche, Eindrücke sind in dem Moment auf mich eingeprasselt.
Wochen / Monate später war die Neugier zu groß und ich nahm eine mit nach Hause. Der Rest ist Geschichte. Zu dem Zeitpunkt hatte sich wirklich ein starkes Verlangen danach aufgebaut. Und ich glaube heute, ich habe gerade noch so die goldene Ära von Folienwindeln erleben dürfen.

Die Agoraphobie machte mich Bewegungslos, mein Trinkverhalten war alles andere als entschuldbar, aus meiner damaligen Sicht wurde das Leben nur so erträglich. Zu der Zeit fing auch das Bettnässen wieder an.
Der Hang zu Windeln war zu viel für die damalige Beziehung. Meine Idee gegen das Bettnässen: Windeln. Die Gegenidee meiner damaligen Freundin: Such dir ne andere Freundin. Damit war das Thema Windeln als Hilfsmittel für mich begraben und vergessen und die Beziehung endete.

Eine viele Jahre später durchgeführte Verhaltenstherapie brachte zusätzlich hervor, dass ich mit einem Beim im Autismus Spektrum angesiedelt bin. Wie stark konnte jedoch nicht mehr gut festgestellt werden, da ich bereits Mitte 30 war und mich im sozialen Leben sehr gut zurecht gefunden habe. Während der Therapie kam auch das Thema Windel im Kontext Fetisch zur Sprache.

Ich weiß noch, als ich damals (im 2. Stock lebend) den Müll in den Keller gebracht habe und mich auf dem Weg schon Krämpfe begleitet haben. Beim Müll in die Tonne werfen wusste ich dann, ich habe noch ein, zwei Minuten, bevor ich es nicht mehr halten kann und bin zurück zur Wohnung die Treppen hochgesprintet. Das war damals der Tiefpunkt. So schnell so arg gabs vorher noch nicht, auch wenn es mir vorher öfters passiert ist, dass ich mal ein bisschen, mal arg eingestuhlt hatte. Aber das hatte mich damals ein wenig gebrochen, wie soll ich rausgehen, wenn ich nur so wenig Zeit haben könnte? In der Nacht habe ich nicht geschlafen, sondern nachgedacht. Mit den Gedanken bin ich zu meinem Hausarzt und hab die ganze Scheiße (im übertragenen Sinne) auf seinem Tisch abgeladen. Nach Hause ging ich mit einem Rezept für aufsaugende Inkontinenzmittel Größe 2. Und gemischten Gefühlen. Mich plagten Zweifel, ob ich das ganze nicht konstruiert hatte, um Windeln tragen zu dürfen. Bis dahin waren Windeln eine Ausrede (damalige Beziehung) und später lediglich ein Fetisch (Therapie). Durften Sie für mich wirklich auch ein Hilfsmittel sein?

Daheim wurde erstmal im Internet geforscht und - oh boy - was für ein Durcheinander. Folienwindeln? Gibt es nicht mehr (lasst mir doch selber die Wahl ftw!). Sanitätshäuser? Irgendwie nicht so richtig. Also Onlineshops. Dort angerufen, Probepaket bekommen und mich mit dem zufrieden gegeben.

Fast Forward: Der Fetisch, wenn man das so nennen kann, existiert beinahe nicht mehr, der Hang bleibt, aber diese immense Affektivität ist weg. Agoraphobie ist weit weg am Horizont. Noch da, aber zur Zeit kaum noch sichtbar. Reizdarm: Täglich Joghurt, eine Schüssel Salat und vollständiger Verzicht auf Alkohol regelt. Was bleibt ist das Bedürfnis mit Plan C rauszugehen. Plan A) Aufs Klo gehen, wenn der RD doch mal kickt (und das passiert dann und wann immer noch). Plan B) Natur düngen. Plan C) Wenn alles nichts hilft, dann wenigstens nicht mehr in die Hose. Das passiert mir nie wieder.

Zwischenzeitlich habe ich für mich festgestellt, dass ich das große Glück habe, nicht erst die Windeln als Hilfsmittel annehmen zu müssen, da diese für mich eine Bereicherung ist. Sie helfen mir das Leben da draußen vor der Türe zu genießen und mich frei bewegen zu lassen. Jedoch trenne ich nach wie vor strickt: Die CF-Windeln vom Rezept werden ausschließlich für die RD-Symptomatik verwendet, alles andere wird aus der eigenen Tasche bezahlt.
Und ich habe eine Freundin gefunden, bzw. sie mich, welche den wunderbaren Charakterzug hat, lieber neugierig als skeptisch zu sein. Sie unterstützt mich darin und gibt mir den Freiraum Notwendigkeit notwendig sein zu lassen und den Hang zu Windeln spielerisch mitzugestalten.

Das erwähnte Glück, kein Problem mit Windeln zu haben und gleichzeitig damit versorgt zu werden, lässt mich jedoch bis heute innerlich immer mal wieder prüfen, ob dies noch die Wahrheit ist oder ob sich daran etwas geändert hat.

Winboy69
06.07.2025, 17:14
Hallo Pontus,
danke für deine offenen Worte und wie du von dir schreibst. Ich kann vieles gut nachvollziehen, da es bei mir auch ein paar Parallelen gibt (z.B. gewisse Neigung zu Asperger - nie offiziell angegangen, aber viele Tests auffallend positiv oder auch Agoraphobie in meiner Familie). Hut ab, dass du dich hier so öffnest. Meinen größten Respekt! Weiterhin alles Gute!
LG Winboy69

Heavy User
06.07.2025, 22:47
Hallo und Herzlich Willkomme hier in der WBC.


Vielen Dank für deine ausführliche Vorstellung.