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beebee
23.07.2012, 15:31
diesen Artikel fand ich grad:

Das Kind als Bio-Aktie (http://www.nachdenkseiten.de/?p=13919#more-13919)

sehr sehr lesenswert
und die Zeilen von den ~ Augen der Mutter ~ sind natürlich wunderschön,
auch was Sartre über den Pfeil schreibt

Linus
23.07.2012, 19:03
Ich habe versucht, diesen Artikel zu lesen,
...... Nach der haelfte habe ich aufgegeben,

Der Autor beobachtet eine Mutter fuer 2 Minuten und fällt sofort ein Urtiel über sie, ohne sie zu kennen.
Noch schlimmer, der Autor verallgemeinert jetzt sogar noch weiter. Das was er da zwei Minuten beobachtet hat, gilt jetzt gleich für die gesamte deutsche Gesellschaft. Er sieht es als erwiesen an, weil er 2 Minuten eine Mutter beobachtet hat, die nicht nach seinen moralischen Vorstellungen gehandelt hat.

Weiter geht es mit einer Abhandlung über Kinderwaegenride früher so gebaut waren, dass die Kinder die Eltern sehen konnten, und heute so, dass die Kinder nach vorne blicken. .... Angeblich.......
Denn es gab schon frueher diese Buggys bei denen die Kinder nach vorne geblickt haben. Und es gibt heute noch weitverbreitet die Kinderwägen, wo die babys die Eltern anblicken. Das hat mit dem alter der Babys zu tun.
Wenn sie kleiner sind, dann liegen sie und schauen die Eltern an.
Wenn sie Größer sind, sitzen sie, schauen nach vorne und beobachten ihre Umwelt.
Ich finde das damals wie heute voellig in Ordnung und kann keinerlei seelische Misshandlung der Kinder erkennen.

Danach habe ich aufgegeben, denn ich erwarte nicht, dass sich der Autor doch noch zu einer echten sachlichen Auseinandersetzung hinreißen lässt, sondern nur weiter seine eigenen Vorurteile anhand einzelner Beobachtungen belegen will.

Dieser Artikel ist nicht zum Nachdenken, sondern eine Hetzschrift gegen die heutige Gesellschaft und Heutige Eltern.

Der Autor ist übrigens 61 Jahre alt, ob er Kinder hat weiß ich nicht.
Er arbeitet im Gefängnisvollzug als psychologe.

Fl!p
23.07.2012, 22:27
Ich habe den Artikel auch nur halb gelesen.
Und zwar weil mir das ganze nach einer Weile vorkam, als würde er sich immer wieder wiederholen.

Aber Unrecht hat er nicht zwangsläufig. Habe auch schon mehrmals junge Mütter gesehen, welche mit ihrem Kind durch die Gegend trullern und auf alles achten, aber nicht ihr Kind. Bin mir da nicht sicher, aber ich schätze mal es liegt nicht daran, dass die so Böse sind, wie der Autor es beschreibt.
Vielleicht wissen sie nur nicht, wie sie mit ihren Kindern umzugehen haben. Sind ja nicht alle Mütter psychologen :)

Besonders die Situation mit dem Handy.
Ich finde, dass der Autor an der Stelle Recht hat. Wie oft sehe ich z.B im Unterricht welche mit ihrem Smartphone rumspielen, während Lehrer (derzeit Dozenten) versuchen ihnen etwas mitzuteilen.
Auch geil die Zeile im Text, wie sich eine Amputiert fühlt, wenn sie ihr Handy nicht mehr hat. :D
Da musste ich doch glatt an ein paar Leute denken..

beebee
24.07.2012, 05:38
Ja, Linus, sicherlich haben solche Artikel viel damit zu tun, mit welcher Wellenlänge einer die Welt sieht ...

Der eine sagt "ja, so ist es! ja, so ist es!" und der andere "hömm, nöh, so empfinde ich's nicht...!"

Ist genauso, als wenn einer die Aussage hinstellt: "Heutzutage ist alles immer kaltherziger und es geht nur noch ums Geld!"
Einige finden: "jaaa, das trifft's genau!"
Und andere: "ach nein, ich finde, wir werden andererseits auch immer feinfühliger - achten zum Beispiel darauf, Fremdlinge jetzt ·Menschen mit Migrationshintergrund· zu nennen..."

Das mit den Kinderwagen - das war mir noch gar nicht aufgefallen - aber mit meinem persönlichen Eindruck deckt es sich: früher, als ich in der DDR klein war, gab es, glaub ich, nur diese alten Kinderwagen, wo das Kind zur Mutter blickte, und heute sehe ich fast nur noch diese Sportkarren, auch für kleine Kinder (und öfter mal Tragetücher).

Was ich aber am spannendsten am Artikel fand: Sieh mal, Linus, hier gibt es öfter Threads "warum bin ich zum AB/AC geworden?" oder bei Breiviks fragt sich die Gesellschaft "was ist mit ihm schief gelaufen?" - doch viele können gar kein einzelnes großes Schlüsselerlebnis anbieten "ja, ich bin mißbraucht worden, als ich drei war" oder "mein Vater hat mich oft geschlagen" ...

Aber durch diesen Artikel wurde gezeigt - und mir persönlich gefiel die Formulierungskunst des Autors sehr - wie eben auch durch viele kleine Tropfen im Kind das Gefühl entstehen kann "ich bin eigentlich nebensächlich, ungeborgen, kalt in dieser Welt" -- eben durch die Mutter, die immerzu mit ihrem Handy telefoniert, mit Sonnenbrille, wo doch das Kind ihr Gesicht als Bezugspunkt braucht...

Später entsteht vielleicht so ein leichtes Kälte- und Beziehungslosigkeitsgefühl im Menschen - er zittert so ein bißchen - aber er weiß gar nicht so richtig, warum, woher kommt das...

(das Ganze empfand ich übrigens nicht als Anklage gegen die jungen Mütter gemeint, die sich in unsrer iPhone-Welt wohlfühlen, sie wurden nciht als "böse" hingestellt, sondern einfach als ein "es ist so heute", fand ich...)

Die Zeilen mit der Mutter, ihren Augen, die das Glück zurückspiegeln, ihrem Gesicht, das anfangs eins mit der Welt ist - der Bezugspunkt, von dem aus sich das Kind psychisch sich selbst und die Welt erschließt - die haben mich natürlich hingerissen :-)
und hey, ich muß wohl aufpassen, daß ich nicht zu viel urkindliche psychische Stücke in mir hab, denn ich hab nochmal ins Bienenkinderbuch geschaut, da steht ein Satz:

"Ja, Mama. Bei dir." Ich schaue auf dem Beifahrersitz glücklich in der Weltgeschichte herum - naja, die besteht zum großen Teil aus Mamas Gesicht - und schlafe im Auto fast ein.

:-)

Grinsekatze
24.07.2012, 22:10
Auch um der Gefahren, hier klugzuscheißen und das Thema zu verfehlen (immerhin kann man im Netz Sachen einfach dadurch ausblenden, dass man sie nicht liest):


Das Adorno-Zitat ist länger als nur die Wärme-Metapher aufzugreifen: "Die Aufforderung, den Kindern mehr Wärme zu geben, dreht die Wärme künstlich an und negiert sie dadurch". Das Problem geht also deutlich über Vernachlässigung des Kindes hinaus. Schließlich ist mehr Liebe keine Lösung.

Eine Deutung: Es geht um den grundsätzlichen Widerspruch einer kapitalistischen Gesellschaft in der sich die Menschen notwendig als Dinge gegenüberstehen, sich selbst der Tendenz nach nur als Ware tauschende, konkurrierende Individuen innerhalb einer verwalteten Welt im Horizont der Realität von Auschwitz erfahren. Eigentlich wollte ich ein 3-minütiges Video in dem Adorno das kurz ausführt, einbinden. Leider geht das nicht aufgrund des"Urheberrechtsanspruchs von Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur" (https://www.youtube.com/watch?v=iqIPOGIlKFI&feature=related). Alexander Kluge hat "Kälte/Wärme" an Adorno anschließend essayistisch, und seiner gesellschaftstheoretischen Implikationen weitgehend entkleidet, mit seiner Montage "Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd" aufgenommen, falls Dich das interessiert, beebee.

Ich greife das deshalb hier auf, weil mich die in der Sehnsucht nach Geborgenheit die Kindheit verklärende Sicht stört. Es mag sein, das in der Kindheit eine spezifische Geborgenheit erfahren wird, etwas, das später nur noch als Utopie erscheinen mag. Doch muss sich diese Perspektive doch der Reflexion stellen! Woher kommt dieses Bedürfnis? Warum bleibt es unbefriedigt? Warum wirken Menschen wie Riley Kilo so albern, während sie gleichzeitig etwas ausleben, das nur im Fehlen erfahren wird?

Ein weiterer Punkt: Warum ist das Thema "AB" so interessant für die BDSM-Szene? Weil selbst die schönste Kindheit ein Gefängnis ist. Übrigens sehe ich überhaupt nicht, dass der argumentative Anspruch des Artikels auf der Frage basiert, ob man die Perspektive teilt oder nicht. Es ist offensichtlich eine Argumentation mithilfe von Beispielen (die ja im Übrigen nichts mit der Realität zu tun haben müssen, weswegen die Frage, ob er die Frau kennt oder nicht, bevor er über sie urteilt, völlig irrelevant ist). Dass nicht alles als nacktes Faktum präsentiert wird, mag ungewohnt sein. Das macht es nicht falsch.

beebee
25.07.2012, 19:16
Mhhh, Grinsekatze, versteh ich dich richtig - daß dich dieser «Volksmusik - heile Welt» Touch ein bißchen anwidert, daß das Kind hätschelnde Geborgenheit erfahren solle - obwohl die wirkliche Welt gar nicht so ist??

(eins muß ich noch nachtragen: Ich bin gar kein Fan dieser «die Mutter gehört an den Herd und soll sich nur noch um ihr Kind drehen» Auffassung - obwohl man aus meiner Begeisterung für den Artikel ja das Gegenteil schließen könnte)

Mich fasziniert hauptsächlich, wie gut der Autor beschreibt, wie durch viele kleine Tröpfchen, Tröpfchen, Tröpfchen eben auch etwas im Kind kaputtgehen kann und es eine unterkühlte Seele bekommen kann.

Die Frage «woher bekommt ein Kind sein Urvertrauen, seinen Mittelpunkt - oder wie könnte ich den wiederbekommen?» beschäftigt mich halt grade sehr.
Ist es nicht seltsam? - eigentlich kommen die Kinder doch per Inkarnation gerade frisch aus dem All-Einen, sollten doch die innere Mitte haben/wissen - aber komischerweise hat das Leben es vorgezogen, daß dieses «ich bin okay, ich bin ich und das ist gut» eben nicht «ab Werk vorinstalliert» ist (computertechnisch gesprochen)... - Sondern es wird durch viele kleine Blicke, Lächeln, Zutrauenserlebnisse «auf die Festplatte des Kindes gespielt» - oder auch nicht ...

In einem Lebenshilfebuch - das ich ansonsten doof fand - fand ich dieses schöne Gedicht von R.D.Laings:

Meine Mutter liebt mich.
Ich fühle mich gut.
Ich fühle mich gut, weil sie mich liebt.
Ich bin gut, weil ich mich gut fühle.
Ich fühle mich gut, weil ich gut bin.
Meine Mutter liebt mich, weil ich gut bin.

Meine Mutter liebt mich nicht.
Ich fühle mich schlecht.
Ich fühle mich schlecht, weil sie mich nicht liebt.
Ich bin schlecht, weil ich mich schlecht fühle.
Ich fühle mich schlecht, weil ich schlecht bin.
Ich bin schlecht, weil sie mich nicht liebt.
Sie liebt mich nicht, weil ich schlecht bin.

Beides sind Kreise, die sich in sich schließen (wie die Schlangen Auryn's, die in ihren Schwanz beißen) - ich fand das sehr gut beschrieben .......

Später sollte ein Erwachsener ja sein "ich bin gut" in sich tragen, weil er so krampflos lieben kann, und es wird nicht angekratzt durch einen ablehnenden Blick oder Liebesmißglück ... - aber doch ist dieses "ich bin gut" nicht etwa ab Werk vorinstalliert, sondern entsteht nur früh durch Annahme, Liebesglück, "du bist gut" Blicke ...
(das fasziniert mich gerade)

Flocke
25.07.2012, 21:46
Ich habe ja selber ein Kind,und schreibe einfach mal meine Meinung dazu.

Ich hatte einen Kombikinderwagen damals gehabt. Die ersten Monate lag das Kind in der Babyschale so dass ich direkt sehen konnte wenn was war.

Nachdem es agiler wurde, also selber sitzen konnte wurde es umgebaut. Sinn dahinter ist einfach das die Kinder dann die Umwelt betrachten können.
Das ein Kind mal knatscht ist nichts ungewöhnliches.

Ich habe immer mein Kind beobachtet aber nebenher muss man auch auf die Straße andere Mitmenschen achten.

Was ich auch erstaunlich finde, wieso ist kein Beispiel mit einem Vater der den Kinderwagen schiebt?

Denn ganz anders würde es da auch nicht ablaufen.

Ein Passant der nur ein Ministück aus dem Leben eines anderen Menschen sieht, kann meiner Meinung nicht so hart urteilen.

Was wäre gewesen wenn die Mutter eine Freundin/ Mann etc neben sich gehabt hätte und sich unterhält, wäre sie auch eine böse Mutter?

beebee
26.07.2012, 04:51
Wie gesagt, mir persönlich gehts nicht um Mutter-Bashing, was mich an diesem Artikel anzieht ......

Mich fasziniert, warum/wie im kleinen Kind dieser eine Kreis entsteht

Mama liebt mich - ich fühle mich gut und bin gut - darum liebt Mama mich

oder der andere Kreis

Mama liebt mich nicht - ich fühle mich schlecht, ich bin wohl schlecht - darum liebt sie mich nicht

... beides sind Kreise, die zu Zirkelschlüssen und festen Lebenshaltungen werden können in diesem frühen Alter (?)

Und dann eben die faszinierende Frage, warum bei einem Menschen, der ganz neu aus dem Himmel hier ankommt, die innere Musik "ich bin gut" eben nicht ab Werk vorinstalliert ist - sondern erst erlernt/eingesogen wird: durch Blicke, Beachtetwerden, Zutrauenserlebnisse....

Aus diesen Blicken und immer kleinen Liebesglücken, die ihm das "du bist gut" geben, lernt das Kleinkind sein "ich bin gut" - und verinnerlicht es ...

Aber wenn ein Mensch 40 Jahre später versucht, sein inneres mangelndes "ich bin gut" von außen zu beziehen - durch Blicke, Liebesglücke... die ihm das "du bist gut" liefern sollen - also eigentlich genau das sucht, was das kleine Kind suchte - ist das falsch ...

Und das ist auch falsch... Ich wandere ja gern, und vor paar Tagen, als der Juli so regennaß war - waren alle Pfade total matschig, glitschig, übernaß (wir haben hier lehmigen Boden) - aber jetzt, nachdem es mal 2-3 Tage sonnig ist, tun dieselben Wege so, als hätte es hier seit 300 Jahren nicht geregnet, so rissig sind sie...

Dagegen - warme gesunde schwarze flüsternde moosige Walderde - wird bei Regen nie sooooo naß - und ist auch bei Trockenheit immer noch lange mit Wasser in sich ...

Ein Mensch, der Liebe so braucht wie ein Lehmboden, ist nicht schön, er ist quasi wie ein Faß ohne Boden, und dauerhaft aufgenommen wird das Wasser des "du bist doch gut" eh nie - nach paar Tagen zeigt er wieder seine gierigen Risse: "mehr! mehr! mehr!"

Gibt es bei der ILS einen Fernlehrgang "wie werde ich Walderde?" :-)

cassandra
26.07.2012, 13:37
Danke für den schönen Text, beebee. Ich finde, Jeder sollte sich überwinden, ihn bis zum Schluss zu lesen. Dann fügen sich auch Fäden, die sich zwischndurch zu verlieren scheinen, auch wieder zusammen. Man bekommt ein einheitliches Bild.

Nehmt das mit der einzelnen Frau nicht "persönlich", so ist es meiner Meinung nach nicht gemeint. Die Beobachtung der 2 Frauen und dem wunderbaren Geschehen in einem Theaterstück (geniale Reaktion des Akteurs auf der Bühne - chapeau!) dienen doch nur als Beispiele, an denen man die heutige Gesellschaft verdeutlichen kann. Ich kann vieles nachempfinden und stimme dem Autor in vielem zu. Kinder laufen heutzugage viel zu sehr nebenher, meist ist die Karierre der Erwachsenen doch viel wichtiger...

Wenn ich so lese, wie die Mutter das Kind mit Süssigkeiten versucht hat ruhig zu stellen, dann gehen mir die Nackenhaare hoch. Gleichzusetzen mit einem Schnuller, den man einfach so reinstopft, ohne darauf zu achten, ob das Kind den wirklich will. Vielleicht will das Kind nur in dem Moment gerade ernst genommen werden?? Egal, ob es seine Wut, seine Einsamkeit, sein Frust oder sonstwas ist?? Aber es ist einfacher, wegzuschauen und sich nur um seine Dinge zu kümmern...

Meine Kinder sind noch relativ ursprüngliche Kinder, die so gut wie nie fernsehen und auch nicht danach fragen... sie spielen lieber draussen mit anderen Kindern und sogar im Regen... oder lesen zu Hause in ihr Bett oder aufs Sofa gekuschelt Bücher und Comics. Und ich versuche, ihnen immer zuzuhören, wenn sie was von mir wollen. Manchmal kann ich das nicht, dann bin ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt und schäme mich dafür, aber dann sag ich es ihnen wenigstens auch oder versuche, wenigstens eine kurze Zeit meine Aufmerksamkeit meinen Kindern zu widmen.

Und das Handy und all der elektronische Kram ist tatsächlich ein Fluch und ein Segen zugleich...

Übrigens konnte man unseren Kinderwagen in jedem Alter des Kindes (also Babyschale und später Baggy) in jede Richtung ändern. Ich hab im Babyalter immer zu mir schauen lassen und beim Baggy immer geschaut, wie es uns (dem Kind und mir) in dem Moment am besten damit ging...

Was die LIebe angeht - ich finds wichtig, Kindern zu zeigen und zu sagen "ich liebe dich, egal was gerade ist oder was du tust". Wenn man das macht, kann manch auch mal kleine Fehler machen...

lg cassi

pampersguy
26.07.2012, 15:00
Reinste Polemik ohne jeden Nachweis. Der Mann hat keine Ahnung von der Materie, denkt er wisse, was Babies brauchen und verkauft das als die Wahrheit. Dabei kriegt so ziemlich jeder in der heutigen Gesellschaft etwas ab, den er als nicht ethisch so hervorragend wie sich hält. Unglaublich eingebildet kommt das rüber.

Ob nun diese Geschichten so passiert sind, ob ihm ein Mädchen sagte, ohne Handy fühle sie sich amputiert - ich bezweifle es doch sehr. Trotzdem sieht man ja, dass er Emotionen bei den Leuten erregt...

Und mal ganz nebenbei: Denkt ihr, auch nur irgendwelche Eltern würden jedes Mal, wenn ihr Kind plärrt, sich erstmal hinhocken und genau schauen, was das Kleine Süße denn hat? Nein, weil es auch noch ein anderes Leben gibt, das funktionieren muss und es auch abartig nervig wäre, jede Sekunde dem Kind zu schenken. Da schafft man dann ja nur eine falsche Erwartungshaltung für später -davon mal abgesehen.

Oh, das Kind zupft an meiner Hose, während ich bei einer Schießerei mit Autodieben bin - "Ja, mein Kleines, was gibt es denn? Ja, es gibt manche Hunde sind braun." Zurück zur Schießerei.

Seiner These zum Schluss:

Es mag sein, dass heutige Kinder weniger geschlagen und körperlich gezüchtigt werden, aber dafür haben sie unter neuartigen Entbehrungen und Formen der Missachtung zu leiden, die womöglich nicht minder grausam sind.

Stimmt, warum Kinder schlagen, wenn man sie durch reines Nichtstun einfach verhungern lassen kann? Und wozu gibt es eigentlich Gefriertruhen? DAS sind für mich ja wohl noch deutlich schwerwiegende Probleme als irgendeine Mutter, die mal telefoniert hat, während sie dummerweise am Autor vorbeigegangen ist. Dumm für sie, schlecht für uns.

Tifa
26.07.2012, 21:18
Ich finde sogar, dass Bindungsstörungen heute eher entstehen, gerade weil Mutter-Sein so überhöht wird. Weil die Frauen das so unglaublich toll ausfüllen müssen und zwar ALLEINE! Gefälligst, denn sie haben ja mal 1-2 Jahre Zeit, arbeiten dann vielleicht nicht und es geht ihnen doch Gold...also sollen sie mal gefälligst ran und alles richtig machen.

Es war noch nie so, dass die Mutter alleine zuständig war für Säuglinge und Kleinkinder. Das war immer auch die Familie, die anderen Frauen der Familie, der Sippe. Heute ist das nicht mehr so.

Ich hatte auch schon ein Baby zu betreuen. Nicht mal eben, sondern jeden Tag, alleine und 12 Stunden am Tag.

Die Mutter und auch die Hauptbezugsperson kennt "ihr" Kind schon. Und "mein" Baby wollte immer nur mit dem Gesicht zur Umwelt herumgetragen werden. Die wollte mich spüren und sich dabei die Welt ansehen. So war sie...andere Babys sind eben anders.

Später habe ich mich mit Mamis und solchen Betreuungsmamis wie mir unterhalten und wir mussten alle lachen, weil wir alle die gleichen Ängste hatten. Baby schläft..und Babys schlafen sehr ruhig...also gedacht "das Kind ist tot"*schreck. Ich habe meine eigene Mutter angerufen, und die musste auch lachen. Aber viele Mütter sind in ganz vielen Situationen alleine. Abgesichert, im schönen Haus oder Wohnung, Kühlschrank voll...aber eben alleine.

Ich finde, es wäre schon mal ein großer Schritt Mütter zuzugestehen, dass sie auch nur Menschen und Frauen sind, dass sie Fehler machen dürfen und vor allem - dass sie sich Hilfe holen dürfen wenn sie nicht mehr wissen was sie tun müssen. In einer komplizierten Welt, inkl der eigenen Ansprüche einen kleinen Menschen zu versorgen, zu lieben und zu erziehen ist kein reiner Instinkt. Und da wäre viel mehr HIlfe notwendig, finde ich.

beebee
27.07.2012, 05:42
ja ... die Mutter ist allein mit dem Kind ...

- sollte sie jetzt auch nur allein für das Kind sein, die vorbildliche Mama?

Ich weiß nicht, dieses Mutterbild mochte ich irgendwie auch nie (weder für Kinder noch für ACs ;-)

(für mich ist die Idealmama wie Dede Tate, lachend, etwas verfitzt, und mit liebevoller Stimme)

Ich bin da noch DDR-Kind: ich finds nicht schlimm, wenn ein Kind mit 3 in den Kindergarten kommt, zum Sandburgbauen und Toben mit andern - wo es doch sonst vielleicht nur Einzelkind zuhause wäre.

(( oh, dein Schreckerlebnis hatte ich auch schon: ich war zu Besuch, als meine Nichte Lea noch ganz klein war, gerade etwas untergewichtig geboren - und meine Schwester und ihr Mann ließen mich für eine halbe Stunde allein mit ihr, nur mal zum Einkaufen. Und da: sie hustete plötzlich, hustete und hustete, so kinderleise... Ich ich: "ohhhh, jetzt ist das Kind kaputt, was soll ich nur tun, was soll ich nur tun?" - oh, war das eine lange halbe Stunde ))

Ja, ich finde auch: früher gab es immer noch die Großfamilie drumherum, und die menschlichen Vernetzungen - so war es seit Jahrtausenden - heute gibt es nur das Internetz - aber was ist die Lösung?

...mehr Umfeld für Mütter schaffen, Mütterkreise? und mehr Kindergärten?

Meine Stadt Jena macht ein schönes Projekt - Die Schatzheber (http://www.buergerstiftung-zwischenraum.de/schatzheber-115.html) - es ist auch für einzelne Kinder in Zuhauses gedacht, wo nicht alles so leicht läuft - und ja, ab September mache ich eine kleine Expedition ins Kinderreich, ich freue mich sehr :-)