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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Siegmund Freud



nessie
01.01.2007, 21:03
Hallo, liebe Communitymitglieder,

als Einstimmung ins neue Jahr möchte ich Euch mal mit einem sehr interessanten, aber sicher auch provokanten Zitat von Sigmund Freud konfrontieren, das dieser in seinem Werk "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (1949), das sich unter anderem auch mit Fetischismus auseinandersetzt, im Kapitel "Die sexuellen Abirrungen" unter der Absatzüberschrift "Die seelische Beteiligung bei den Perversioinen" geschrieben hat:

"Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muss man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebs anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten aneinander ("vom Himmel durch die Welt zur Hölle")" Zitatende.

Zunächst einmal: Natürlich distanziere ich mich aufs Schärfste von Formulierungen wie "abscheuliche Perversionen", "greulichen Erfolges" und "Hölle", soweit es um Dinge geht, die anderen nicht schaden. Bedenkt: Der Text wurde zu einer Zeit geschrieben, als kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, selbst Homosexualität als etwas anderes zu sehen als eine Krankheit.

Trotz solcher dem Zeitgeist geschuldeter Formulierungen enthält der Text zwei bemerkenswert moderne Gedanken, die Freud, wie ich finde, als echten Freigeist ausweisen, der über seine Zeit hinauswächst:

1.) Jede Form sexuellen Erlebens ist seelische Arbeit, die anerkannt werden kann.

Und - für die damalige Zeit fast noch unglaublicher-:

2.) In jeder Ausprägung sexuellen Verhaltens zeigt sich die Idee einer (offenbar übergeordnet zu denkender) Liebe.

Ob Freud das selber so formuliert hätte, wage ich zwar zu bezweifeln, aber von seiner Formulierung bis zu dieser Formulierung ist es nur ein winziger Schritt. Ob ihm die Tragweite seiner Formulierung bewusst gewesen ist, ihm, dem Meister des Unbewussten?

Ich finde, mit derartigen Formulierugen wurde sogar ein Ausgangspunkt gelegt für den (zugegeben noch weiten und bis heute nicht ganz zu Ende gegangenen) Weg, der weg von der Fokussierung der äußeren Norm und hin zur Fokussierung des subjektiven Erlebnisses führt.

Nun soll der Beitrag nicht dazu dienen, über Freud zu schwärmen. Zum Glück sind einige der Ansätze von "Old Ziggy" mittlerweile ja schon wieder sehr relativiert worden, und insbesondere unseren weiblichen Mitbürgern ist er wohl nicht immer gerecht geworden...

Aber ich finde, zu einem spannenden Denkanstoß und vielleicht einer schönen (pseudo-)wissenschaftlichen Diskussion eignen sich seine Worte doch allemal.

Bin auf Reaktionen gespannt.

autinico
01.01.2007, 23:40
Bei einigen "sexuellen Abirrungen" kann ich der Formulierung sogar zustimmen.

Aber was ist mit "Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet" gemeint?

Irgendwie versteh ich den Text allgemein nicht so richtig ;(

SomeGuy
02.01.2007, 02:09
ich denke mit "Arbeit geleistet" ist gemeint, dass niemand damit geboren wird, sondern man es erst selbst entwickeln muss

Grinsekatze
01.04.2007, 14:03
Keine Reaktion! Schade, dabei ist der Text tatsächlich interessant. Ich versuche mit dieser wissenschaftlichen Herangehensweise den Fetisch zu konzentrieren und in eine Flasche zu stecken, die ich dann in den Bücherschrank stellen kann: seelische Arbeit, wenn ich F. richtig verstehe.

Ich weiß nicht, ob es eine "übergeordnete Liebe" geben kann. Für mich sind Liebe, die ich allerdings auch nur in grandiosen Liedzeilen, mächtigen Filmen oder als Sehnsucht erfahre, etwas anderes. Liebe ist für mich an einem Sommertag mit einem schönen Mädchen an einem See im Gras zu liegen. Das ist natürlich kitschig. Windeln dagegen sind etwas, was ich als das Gegenteil erfahre. Sie sind eklig, sie sind, was ich, im Gegenteil zur Liebe erfahre, isolierend, etwas, was man nur alleine erlebt. Mir gefällt das Windltragen auf WFs bekanntermaßen ja auch nicht.

Freud meint das aber anders, oder? Liebe ist so ein großes Wort. Aber trotzdem, der Fetisch ist etwas, was für mich alleine da steht. Er hat einen bestimmten Bereich für sich erobert und macht sich darin nun breit, da gibt es keine Liebe, die ihn beherrscht.

Andererseits: Es lässt sich nicht leugnen, dass Liebe und Sexualität miteinander verwoben sind.. insofern könnte mensch vielleicht sagen, dass de Fetisch sich an einer Stelle breit macht, die normalerweise irgendetwas mit Liebe zu tun hat.?

Zu dem anderen, der seelischen Arbeit. Ich weiß nicht, ob ich Freud da richtig verstehe. In meinen Augen fasst er damit aber viel zusammen, was mich zum Geschichtenschreiben bewegt...eine Kraft, die den Trieb bearbeiten will..ich schmücke den Fetisch gerne mit Worten wie Geborgenheit, dabei weiß ich nicht recht, ob sie wirklich zutreffen.

Rumpelstilz
01.04.2007, 14:27
Ich finde Freud etwas zu ernst genommen.

Nicht immer so viel Wind machen, wo nur ein Lüftchen weht.

nessie
11.04.2007, 21:46
Original von Grinsekatze
Ich versuche mit dieser wissenschaftlichen Herangehensweise den Fetisch zu konzentrieren und in eine Flasche zu stecken, die ich dann in den Bücherschrank stellen kann: seelische Arbeit, wenn ich F. richtig verstehe.
(...)
Zu dem anderen, der seelischen Arbeit. Ich weiß nicht, ob ich Freud da richtig verstehe.

Ich glaube, Freud meint mit "seelische Arbeit" nicht die Reflektion über den Fetisch, sondern den Fetisch selbst. Für ihn ist es offenbar das Ergebnis von Triebumwandlung, was impliziert, dass man nicht ursprünglich Fetischist ist, sondern der Trieb (als etwas offenbar Verselbstständigtes gedacht) sich zunächst - vielleicht nicht bei jeder Einzelperson, aber seiner Bestimmung, seinem Wesen nach - auf etwas anderes bezieht und dann "umgeleitet" wird. Und dieses Umleiten, dieses "einen an sich toten Gegenstand mit Leben, mit Erlebnis, mit Lust, mit Vorstellungen füllen" - findest Du es nun gut oder nicht - sieht er als seelische Arbeit an, wobei er den Begriff Arbeit unabhängig vom Wert seines Ergebnisses als anerkennenswert ansieht.

Anders (positiver, moderner) ausgedrückt: Es ist eine seelische Leistung, Glück zu empfinden, egal auf welchem Wege.

Und ich finde, damit hat er recht.

Darüberhinaus glaube ich, dass der Windelfetisch auch mit der Erfahrung des Geliebt-Seins als Kind verbunden ist und zumindest in diesem Sinne ein Zusammenhang zum Thema Liebe besteht. Es ist zunmindest das verselbstständigte Erlebnis der Widerholung früher erfahrener Liebe.

Aber natürlich gebe ich gebe Dir Recht, dass Liebe in ihrer idealen Form allein nicht funktioniert.

Für mich kann übrigends auch eine gelungene Gedichtzeile Liebe sein.