Legal Disclaimer:

Diese Geschichte ist frei erfunden. Übereinstimmungen mit Toten oder lebenden Personen sind möglich, sämtliche Namen bis auf meinen Vornamen wurden geändert, die Schauplätze des Geschehens ebenfalls. Das Copyright dieser Geschichte liegt bei mir.

Diese Geschichte ist, wie vielleicht dem ein oder anderem ersichtlich sein dürfte, eine Fortsetzung von "Zweite Chance", eine ebenfalls von mir verfasste Geschichte. Ohne die Lektüre des ersten Teils dürfte es vermutlich sehr schwer für den geneigten Leser sein, dem zweiten Teil zu folgen. Ich empfehle deshalb, für alle "Neuleser", bei Gefallen einen Blick in Buch 1 zu werfen.

Kommentare sind strengstens erwünscht und würden mir sehr beim weiteren schreiben helfen und mich motivieren.
Kommentarthread



Zweite Chance 2
Kapitel 7 - Das Ende der Rebellion





Das ganze laufen nützt aber relativ wenig, wie wir feststellen müssen, denn als wir vor der Türe ankommen, ist selbige noch verschlossen und uns bleibt nichts weiter übrig als uns an der Wand anzulehnen und zu warten. Unseren Klassenkameraden geht es ebenso. Ich nutze die Gelegenheit, mich im Flur umzuschauen: Die Wände bestehen ebenso wie die meines neuen Klassenraumes aus Backsteinen und die Decke aus Holzdielen welche einen angenehmen Holzgeruch im ganzen Flur freisetzen. An den Kleiderhaken an der Wand hängen ziemlich viele Jacken und den Schildern und Aufklebern an den Türen nach zu urteilen, teilt sich meine 5D den Flur mit der 6E, der 5B, der 6B und zwei weiteren Klassen mit einer „6“ an der Türe, scheint wohl so etwas wie ein Unterstufentrakt zu sein, immerhin besser als mein alter Klassenraum mit den Zehntklässlern nebenan.

„Hey Fabi!“, meint ein Junge der grade erst zu Fabian und mir hinzugestoßen ist. Er ist nicht wirklich größer als Fabian oder ich und hat etwa den selben Haarschnitt wie Fabi nur dass seine Haare komplett schwarz sind. Ebenfalls wie ich hat er einen trendigen Dakine-Ranzen, allerdings in braunen Karomustern. Die Schnürsenkel seiner grauen Sportschuhe sind beide offen und liegen links und rechts neben seinen Schuhen auf dem Boden: „Ich hab dir dein Rubinrot wieder mitgebracht!“, bemerkt er stolz und greift in seinen Schulranzen, zum Vorschein kommt eine kleine Speicherkarte, etwa so groß wie eine SD-Karte. Kein Zweifel, es handelt sich um ein 3DS-Spiel. Um Pokemon um genau zu sein, klärt mich der winzige Covertext auf.

„Wer ist das eigentlich?“, fragt der schwarzhaarige Junge und schaut offensichtlich auf mich. Ein misstrauischer Blick. „Ach, das ist Felix!“, bemerkt Anakin erfreut: „Der ist seit heute neu in meiner Klasse und jetzt mein neuer Freund!“

„Cool! Hi!“, antwortet der schwarzhaarige Junge, stellt das Mäppchen aus dem er die Rubinrot-Edition herausgeholt hat, auf dem Deckel seiner Tasche ab und reicht mir recht förmlich seine rechte Hand: „Hi, ich bin Robin! Ich und Fabi kennen uns aus der Grundschule, ich bin aber schon in der sechsten“, klärt er mich auf. Hui, ein Sechstklässler! „Spielst du auch Pokemon?“, fragt er mich.

„Hmm, neee, eigentlich nicht“, antworte ich: „Aber ein Freund von mir in der dritten Klasse hatte Pokemon Feuerrot, das war damals ja total neu. Wir hatten dann immer zusammen gespielt und ich hatte ihm ne Übersichtskarte der Welt gezeichnet“, erzähle ich.

„Feuerrot?“, fragt Robin sichtlich erstaunt: „Hä? Das musst du verwechseln“, klärt er mich in einem leicht besserwisserischen Ton auf: „Das gibt es schon seit 2004!“

Oh, stimmt, da war ja was. Diese sieben Jahre. Auch wenn Fabi und Ich so ziemlich gleichalt sind und auch Robin höchstens ein Jahr älter ist, bin ich doch glatte sieben Jahre vor den beiden geboren. In einem ganz anderen Jahrtausend. Als ich acht war, schon in der dritten Klasse, waren die beiden grade mal geboren und trotzdem sind wir jetzt alle fast gleichalt. Wieviele Computerspiele ich wohl in den sieben Jahren verpasst habe? Ich glaube, ich muss Giacomo wohl definitiv noch über meine verlorene Zeit ausfragen.

Während wir noch an der Flurwand lehnen, uns weiter unterhalten und Robin seinen Ranzen wieder schultert, schließt meine neue Klassenlehrerin bereits unseren Raum auf. Dritte Stunde, Religion. Gibt es eigentlich ein langweiligeres Fach? Passend dazu läuft auch Robin wieder zu seiner Klasse zurück und stolpert dabei einmal fast über seine eigenen Schnürsenkel. Hätte er halt mal Klettschuhe, hab ich Giacomo auch schon gesagt!

Schnitt, nächste Szene. Ich und Fabi sitzen bereits wieder auf unseren Plätzen vor dem Lehrerpult und wäre das ganze hier ein Film, käme gleich coole Musik und der Religionsunterricht würde im Zeitraffer vorrübergehen. Leider ist mein Leben aber kein Film und so wird sich die Stunde wohl noch ziemlich genau 40 Minuten hinziehen. Wieso muss es so langweilige Fächer eigentlich geben? In der Vergangenheit hätte ich jetzt einfach ein Arbeitsblatt umgedreht und auf der Rückseite angefangen zu malen. Mir Züge ausgedacht, Busmodelle, Raumstationen, interessante und coole Sachen halt, nur hat mir Giacomo eindringlich dazu geraten, das in Zukunft sein zu lassen. Er meinte, wir würden es hinbekommen das meine Noten schon auf dem nächsten Zeugnis nicht mehr so schlecht sind wie bisher und dass das gar nicht so schwer sei. Nun sitze ich hier im langweiligen Religionsunterricht und darf nicht mal malen. Menno. Und auch schwätzen mit Fabi ist keine Option, denn direkt vor uns sitzt Frau Schaf und würde wohl jeden Ablenkungsversuch unsererseits sofort bemerken. Schließlich fange ich aus Langeweile an, dem gar nicht so schlecht gemachten Unterricht zu folgen.

Trotzdem sind sowohl ich als auch offensichtlich Fabian ziemlich erlöst als der bekannte Dreiklang der Pausenklingel ertönt, den Religionsunterricht beendet und uns in den Biologieunterricht entlässt. Eilig werfe ich mein Mäppchen und mein neues Religionsheft im roten Umschlag in meine Tasche, stehe auf und folge dem schon auf mich wartenden Fabian. Als ich aufstehe bemerke ich, dass meine Drynites mittlerweile merklich gefüllt ist und die gewohnte wohlige Wärme und Weichheit in meinen Schritt zurückgekehrt ist. Während ich mit Fabian durch die überfüllten Schulflure streife, spüre ich das dezent aufgequollene Saugpolster zwischen meinen Beinen und merke gleichzeitig, dass ich mal wieder pinkeln muss. Irgendwie alles wie ein Traum. Meine Schule ist zwar noch erkennbar, sieht an vielen Stellen aber wirklich so aus wie in einem relativ unrealistischen Traum. Grüne und Rote Außenwände, Gebäudeteile die unter andere Gebäude hineingebaut wurden, Flachbildschirme in den Gängen aber trotzdem noch viele vertraute Elemente. Und ich laufe hier durch den Gang und habe unter meiner Jeans eine Windel! Eine nasse Windel! Total unwirklich irgendwie. Trotzdem sind wir irgendwann durch das Gewusel von älteren Schülern hindurchgedrungen und stehen schließlich vor dem Biologieraum. Fabi stellt seinen Schulranzen an der Wand unter dem Terrarium ab. Das Terrarium mit den beiden Schlangen, Bar und Pascal. In meiner alten fünften Klasse hat uns mein Biologielehrer mal erklärt, dass da irgendwas mit einem falschen Druck im Terrarium war und die beiden Schlangen seitdem Pascal und Bar heißen, genau weiß ich das nicht mehr, denn aufgepasst habe ich damals nicht wirklich, dabei war mein Bio-Lehrer eigentlich echt cool. Ob es den immer noch gibt?

„Da in dem Kasten sind übrigens die zwei Schlangen der Biologie, die heißen Bar und Pascal. Willst du wissen, wieso?“, fragt mich Fabian nachdem er seinen Ranzen abgestellt hat. Offensichtlich versucht er, mir eine Art Führung durch meine vermeintlich neue Schule zu geben. Eben hat er mir den Weg zur Mensa erklärt, und mir auf dem Flur den wir eben lang gegangen sind kurz den Computerraum gezeigt, in welchem immer noch genau dieselben Rechner stehen wie vor sieben Jahren.

„Lexi … ?“, fragt er mich als er bemerkt, das er von mir keine Antwort bekommt. Ich stehe gegenüber von meinem Freund, habe meine Schultasche noch auf meinem Rücken, meine Beine leicht gespreizt und lehne mich mit meinem Po ein klein wenig zurück. Wieso muss mich Fabi ausgerechnet dann ansprechen wenn ich grade in meine Drynites puller? Das ist mir jetzt irgendwie echt peinlich.

„Oh!“, stellt Fabian verwundert fest: „Machst du grade etwa in …?“, flüstert er und bricht den Satz ab bevor ich ihm ein „pssst“ zuraunen kann. Nahezu zeitgleich versiegt der Pipistrom, ich lasse meine Tasche neben seine Gleiten und lehne mich neben ihn an die Wand. Am Po spüre ich, wie der warme Urin langsam von meiner gut gefüllten Drynites aufgesaugt wird: „Ja“, murmle ich zu Fabi und nicke. Zeitgleich bemerke ich, wie sein Blick in meinen Schritt wandert: „Wow, man sieht echt fast nix“, stellt er verwundert fest: „Wo waren wir? Ach, ja, bei den Schlangen!“, wechselt er das Thema als er bemerkt dass die Halle vor dem Biologiebereich vielleicht nicht der richtige Ort für so ein Gespräch ist. Also die Diskretion muss ich dem aber noch beibringen!

„Ja, die heißen Bar und Pascal. Hm, heißen die vielleicht so wegen Druck? Der wird ja in Bar und Pascal gemessen, glaube ich. Vielleicht war der Druck im Terrarium nicht richtig oder so?“, antworte ich meinem neuen blonden Freund. Eigentlich unfair, er hatte sich augenscheinlich darauf gefreut mich raten zu lassen und jetzt präsentiere ich ihm direkt die richtige Lösung.

„Mist! Ja, stimmt! Wie bist du denn darauf gekommen?“, fragt er mich erstaunlich.

„Och, ist doch eigentlich logisch“, antworte ich möglichst gleichgültig. Ist das fair? Eigentlich wäre ja ich ja nie darauf gekommen hätte ich die Lösung nicht selbst erzählt bekommen damals vor sieben Jahren im Raum hinter der Wand, aber der Moment des intellektuellen Triumphes gefällt mir schon ziemlich. Aber Freunden soll man eigentlich die Wahrheit sagen, oder?

„Ja neee, davon hat mir Giaco erzählt“, wiege ich schließlich ab und bevor Fabi mir noch mehr über meine neue alte Schule erzählen kann und auch bevor die Schlangen auch nur einmal aus ihren Höhlen vor die Glasscheibe gekrochen gekommen sind, kommt bereits unsere Biologielehrerin und eröffnet den Unterricht. Immerhin ist die Einzelstunde sowohl interessanter als auch kurzweiliger als der Religionsunterricht und das obwohl es eigentlich nur um Vögel geht.

„Wollen wir wieder zu deinem Bruder gehen?“, fragt mich Fabi als wir die Treppen in Richtung Pausenhof herunterrennen.
„Neee, ich muss erstmal …“, wie sage ich ihm das denn jetzt am besten? „ … du weißt schon“, fange ich an und deute auf meinen Schritt. Fabian versteht mich nicht. Gibt es dafür denn kein Codewort?
„Ich muss mal auf Toilette“, versuche ich ihm einen Hinweis zu geben.

„Hä, trägst du keine …?“, fragt Fabian verwirrt. Man, der ist doch sonst nicht so Begriffsstutzig!

„Pssst“, fange ich ihn ab bevor er noch das W-Wort sagt während wir uns mit den anderen Schülern durch die Türen auf den Pausenhof quetschen. „Häääää?“, ist seine verwunderte Antwort. Als wir endlich auf dem Hof angekommen sind flüstere ich ihm schließlich genervt ins Ohr: „Ich muss mich mal wickeln!“

„Ohhhh! Ja weiß ich doch nicht!“, antwortet er verwundert. Da hätte er aber drauf kommen können, finde ich! „Wir sollten uns ein Codewort dafür überlegen, finde ich“, schlägt mein neuer Freund vor was ich eben auch schon dachte.

„Jau, stimmt!“, stimme ich ihm zu: „Wie wäre es mit ‚die Systeme rebooten‘ ?“

„Hä? Macht das Sinn?“, fragt mich Fabi verwirrt während er mir in Richtung Toilettentrakt folgt.

„Keine Ahnung, aber klingt doch cool! Oder?“, antworte ich, stoße die Tür zum Toilettenvorraum auf und Grüße den Klomann. Der ist mir immer noch nicht ganz geheuer, seit wann gibt es Klomänner an einer Schule? Gut, nett scheint er definitiv zu sein.

„Dann reboote mal schön die Systeme“, grinst mich Fabian an, während er sich an eines der Urinale stellt und ich mitsamt meinem blauen Ranzen in eine der Kabinen gehe, das Schloss umdrehe, mich auf die blitzblanke Klobrille setze und den oberen Reißverschluss meiner Schultasche aufziehe. Ganz am Rücken des Faches befindet sich, geschützt vor den Blicken von neugierigen Mitschülern ein weiteres Fach, eigentlich für Laptops gedacht. In meinem Fall sind dahinter statt eines Laptops aber etwas noch cooleres, meine Windeln. Zwei Drynites und auch eine normale Pampers, zur Sicherheit, inklusive ein paar Plastiktüten in denen ich die benutzten Windeln wieder verstauen kann.

Im Licht der LED-Lampen an der Decke greife ich an das Zahlenschloss was den Reißverschluss des Windelfaches gegen unbefugten Zugriff schützt. Wo kämen wir denn hin, wenn andere einfach so die Systeme rebooten könnten? Dafür braucht es doch ein Passwort! 1996 in diesem Fall, mein Geburtsdatum. Mein echtes jedenfalls.

Kurz darauf habe ich bereits einen Plastikbeutel für meine benutzte Windel sowie eine neue Drynites aus dem Fach herausgefriemelt, lege sie auf meiner Tasche ab und ziehe mir meine Hose herunter. Zum Vorschein kommt erst meine schlabbrige Boxershorts und dann meine aufgequollene, ehemals blaue Drynites mit Skateboards auf der Vorderseite. Im Gegensatz zu heute Morgen ist sie allerdings nicht mehr hellblau sondern ziemlich gelb, auch wenn sie sich innendrin noch halbwegs trocken anfühlt. Benutzt ist sie definitiv schon reichlich, ob ich sie unbedingt jetzt schon wechseln müsste weiß ich allerdings nicht, in der Schule ist es aber wohl besser, da kein Risiko einzugehen. D
Dementsprechend reiße ich links und rechts die Seitenflügel der Pullupwindel auseinander, stopfe die Drynites in die Tüte und nehme mir die frische Pullup mit E-Gitarrendesign von meinem Schulranzen runter, falte sie auf, und will sie anziehen. Mist!
Wie ich feststellen muss, ist das ja bekanntlich eine Pullup und keine normale Windel und so ziehe ich mir erstmal die Schuhe aus, anschließend die Hose herunter und lege schließlich auch meine Unterhose auf meinem Schulranzen ab, so dass ich nur noch in Socken und Pullover in der Kabine stehe! Man oh man, ist das umständlich, wäre die Drynites eine ganz normale Pampers wäre ich vermutlich schon zweimal fertig mit dem Windelwechsel, so aber dauert das ganze eine Ewigkeit. Mindestens. Irgendwann bin ich aber schließlich doch fertig, habe mich abgetrocknet, mir die Drynites umgemacht und auch Unterhose und Hose wieder angezogen und schließe endlich auch wieder die Klettstreifen meiner Schuhe. Ritsch, Ratsch. Man, das ist echt viel praktischer, vor allem bei Windeln. Nachdem auch die Tüte mit der benutzten Drynite verstaut ist und mein Windelgeheimfach wieder sicher verschlossen ist, bin ich endlich fertig.

„Man, das hat aber lange gedauert!“, bemerkt der an der weiß gekachelten Wand lehnende Fabian während er seine zwischenzeitlich schon abgestellte Tasche wieder schultert.

„Du hast gewartet?“, frage ich ihn erstaunt während wir in den Vorraum gehen und unsere Hände waschen. Ob das bei einem Windelwechsel wirklich notwendig ist weiß ich nicht genau, aber das ist dann wohl Macht der Gewohnheit.
„Ja natürlich, wir sind doch Freunde! Dauert aber wirklich lange …“, antwortet mir Fabi während wir endlich wieder auf den Schulhof laufen.

„Cool, Danke!“, antworte ich beeindruckt, das ist ja wirklich nett von ihm, zumal ich fast die ganze Pause für den Windelwechsel gebraucht habe und so verbringen wir die restlichen zwei Minuten der Hofpause damit, mehr oder weniger gelangweilt auf die Stundenplanmonitore vor den Eingangstüren zu starren und darauf zu hoffen, dass morgen außerplanmäßig irgendeine Stunde ausfällt, vorzugsweise natürlich die erste und die letzte. Ich muss schon sagen, der Windelwechsel ist echt verdammt unpraktisch, meine ganze kurze Pause habe ich auf der Toilette verbracht und die Drynites gegen eine trockene ausgetauscht und so bleibt mir nur noch eine Pause am Tag zum Spielen, viel zu wenig wie ich finde. Doch halt, was war das? Montag, 5D, 5. Und 6. Stunde Entfall? „Hey schau mal“, rufe ich aufgeregt zu Fabian welcher sich bereits enttäuscht vom Monitor weggedreht hat und ein paar anderen Kindern beim Tischtennisspielen zuschaut.

"Hm?"

"Schau mal! Am Montag fällt Deutsch aus!“, überbringe ich ihm aufgeregt die erfreuliche Nachricht und deute wie wild auf den Monitor.

„Was?“, fragt Fabi begeistert und blickt gespannt auf den Monitor: „Wie cooooooool! Stimmt! Nur vier Stunden am Montag!“

„Hm, ich weiß nicht“, antworte ich resignierend: „Bei mir fährt nach der vierten Stunde kein Bus, dann muss ich ne ganze Stunde hier rumhängen bevor ich nach Hause kann, voll bescheuert!“ Das hat mich schon immer gestört, so kommt man trotzdem höchstens eine Stunde früher nach Hause als mit normalen 6 Unterrichtsstunden, sogar wenn man vor den Ferien nur drei Stunden hat.

Mein neuer Freund schweigt kurz, sagt dann aber stolz: „Du könntest ja mit zur mir nach Hause kommen!“

„Echt?“, frage ich erstaunt und etwas überrumpelt. Darauf war ich jetzt irgendwie nicht vorbereitet und weiß nicht, ob ich ja sagen soll, denn irgendwie kenne ich Fabian ja erst richtig seit heute, ein Teil in mir traut sich da nicht so ganz.

"Klaro! Das wär doch voll super, oder nicht?“, schwärmt Fabi: „Wir könnten so viele coole Sachen machen, grade wenn wir schon nach vier Stunden zu Hause sind! Hast du eigentlich einen Nintendo 3DS? Wenn ja dann musst du den unbedingt mitnehmen! Wir könnten auch was mit Lego spielen, oder Minecraft!“

Bevor ich antworten kann, unterbricht die aufdringliche Pausenklingel unsere Montagsplanung und verkündet hiermit, dass die kleine Pause, die heute eher zu einer Windelwechselpause verkommen ist, offiziell zu Ende ist und so begeben wir uns schweren Herzens in das endlos lange, dunkle Schulgebäude um in Richtung Kunsträume zu schlurfen: „Stimmt“, gebe ich ihm recht: „Ich frag mal ob ich Montag zu dir mitdarf. Einen DS hab ich aber leider noch nicht, will ich aber haben!“

„Hm, macht nix“, antwortet Fabian unbeirrt: „Wir finden schon was! Immerhin besser, als alleine zu spielen, oder?“

„Sie kommt! Sie kommt!“, brüllt ein Junge aus unserer Klasse kurz nachdem wir an ihm vorbeigelaufen sind und unsere Taschen vor dem Kunstraum abstellen. Schnell stellen sich alle mehr oder weniger geordnet auf, hören auf wild umherzulaufen und auch der Geräuschpegel sinkt erheblich. Das hat sich scheinbar in all den Jahren nicht verändert, stelle ich fest, auch in meiner alten Klasse standen immer ein paar Kinder am Anfang des Ganges um die anderen rechtzeitig vor dem Lehrer warnen zu können. Teilweise waren dann auch schon mal so viele Schüler vorne und haben nach dem Lehrer Ausschau gehalten dass es fast niemanden mehr zum Warnen gab außer ein paar Mädchen. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht.

„Ha!“, ruft der Junge der uns eben gewarnt hatte nun: „Verarscht!“, und grinst.

„Mensch Frederik!“, stöhnt die halbe Klasse auf woraufhin der gewohnte Lärm wieder ausbricht und Wolfgang nach dem augenscheinlich Frederik heißenden Mitschüler tritt.

„Genau! Mensch Frederik“, schaltet sich nun eine weitere Stimme ein, zu meiner Verwunderung allerdings unsere Lehrerin. Und nicht nur das, es ist sogar Frau Pfeiffer, dieselbe Kunstlehrerin die ich schon vor meiner Zeitreise hatte, eine eigentlich ziemlich nette Lehrerin mittleren Alters, witzig und auch ihr Unterricht hat mir eigentlich immer ziemlich viel Spaß gemacht: „So, und jetzt stellt euch alle mal wieder so hin wie ihr grade standet, das sah doch so schön geordnet aus!“, fügt sie noch hinzu und scheucht das Fünftklässlergewirr zur Seite um die Türe zum Kunstraum aufschließen zu können.

Nachdem Frau Pfeiffer den Streit zwischen Wolfgang und Frederik geschlichtet hat, sich die Klasse an den bunten Gruppentischen im Kunstraum niedergelassen hat und auch das Licht begleitet von starkem geflacker irgendwann angefangen hat, uns zu erleuchten, beginnt irgendwann dann doch so etwas wie Unterricht: „Guten Morgen, Frau Pfeiffer“

„Ja, eigentlich dürfen wir ja gar nicht viel Zeit verschwenden, denn wie ihr wisst, haben die meisten von euch ja die Acrylbilder aus dem März immer noch nicht fertig, von daher an die Arbeit!“, eröffnet sie recht eilig den Unterricht und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Darüber, dass wir zu langsam arbeiten hatte sie sich schon vor sieben Jahren beschwert, irgendwie schön, dass so etwas beim alten geblieben ist.

„Fabian“, fragt meine neue alte Kunstlehrerin nun offensichtlich leicht böse meinen neuen Freund: „Müsstest du nicht neben Mathilde sitzen?“

„Ja, aber dann wäre Felix doch alleine auf der Seite des Tisches und auf der anderen Seite hätten wir immer noch keinen Platz bei Mathildes Riesenbild“, antwortet Fabian erklärend.

„Huch!“, lautet Frau Pfeiffers Antwort: „Das habe ich ja ganz vergessen! Hallo Felix und willkommen bei mir im Kunstunterricht!“, sagt Frau Pfeiffer und geht in Richtung unseres Tisches: „Das ist ja wie ein Déja vu! Ich bin Frau Pfeiffer, falls du es noch nicht mitbekommen hast.“

Ja, wie ein Déja vu, das könnte ich jetzt auch sagen und technisch gesehen wäre das wohl auch vollkommen zurecht, denn Frau Pfeiffer und Ich sehen uns ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal, auch wenn sie davon nichts weiß. Grinsend antworte ich: „Ja, ich weiß.“

„Soso, und du bist Giacomos kleiner Bruder?“, fragt sie hörbar erstaunt: „Das ist ja wie damals als ich den in der fürchterlichen 6D im Unterricht hatte! Du siehst deinem großen Bruder aber echt verdammt ähnlich!“

Ja, die fürchterliche 6D. Wir waren die Chaotenklasse schlechthin. Und stolz drauf. Aber das ist jetzt Glücklicherweise zur Vergangenheit geworden, und zwar schneller als erhofft. So ganz weiß ich nicht, was ich ihr antworten soll: „Ja, das haben mir schon viele Leute gesagt“ Ein bisschen unterhalten Frau Pfeiffer und ich uns noch über meinen plötzlichen Schulwechsel und auch darüber wie Giacomo früher bei ihr im Kunstunterricht war und wie er, also eigentlich ja irgendwie ich, sich gewandelt hat. Fabian hört interessiert zu und ich muss mir wirklich ein paar Mal ein Lachen verkneifen.
„Ja, dann hoffe ich mal, dass du dich bei mir im Unterricht wackerer schlägst als dein Bruder“, zieht sie schließlich als Resümee und macht sich auf den Weg zurück zu ihrem Lehrerpult um den restlichen Schülern etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ich darf währenddessen einfach malen was ich will, denn offensichtlich habe ich im Gegensatz zu meinen 28 anderen Klassenkameraden nicht schon von den Osterferien mit einem Acrylbild angefangen und dementsprechend auch nichts, was ich heute vollenden kann. Endlich kann ich also nun Züge und Busse malen und das sogar, ohne aufpassen zu müssen, dass mich die Lehrerin nicht erwischt. Kunst ist sowieso eines der besten Fächer, denn in keiner anderen Unterrichtsstunde kann man sich so gut mit seinen Mitschülern unterhalten wie im Kunstunterricht, manchmal durften wir bei Frau Pfeiffer auch sogar Musik hören während des Malens.

„Wird das ein Zug?“, fragt Fabian mich interessiert während ich die ersten Grundzüge der Lokomotive auf meinem Bild male, 110 166-6, dieselbe Lokomotive, der auch mein Hochbett nachempfunden ist.

„Ja, genau!“, antworte ich ihm, während ich mit seiner Zeichenmappe als Lineal die Schienen unter dem Zug entlangziehe. „Ey, meine Mappe!“, kommt prompt von Fabi zurück welcher mir die Mappe wieder entreißt und dabei kichert. „Pföh, dann halt nicht!“, antworte ich und strecke meinem Sitznachbarn die Zunge raus woraufhin wir beide lachen müssen. Der ist echt witzig!

„Ich glaub, so eine Lok haben wir bei uns auf der Modellbahnanlage“, stellt Fabi fest: „In Blau“, präzisiert er noch.

„Was, ihr habt eine Modellbahn?“, frage ich begeistert zurück. Ich hatte auch mal eine, die alte von meinem Großvater, sogar mit drei Lokomotiven, zwei grünen Doppelstockwagen, zwei einstöckigen Regionalbahnwagen, alten Intercitywagen, Schlafwagen und ein paar Güterwagen, leider Funktionierten die Loks mehr schlecht als Recht und auch wenn ich mir wohl seit meinem neunten Geburtstag eigentlich immer nur Modellbahnzubehör gewünscht hatte habe ich es nie geschafft, daraus eine vernünftige Anlage mit Funktionierender Infrastruktur zu bauen: „Ich hatte auch mal eine Modellbahn, von welchem Hersteller ist eure denn?“

„Naja, die ist noch im Bau, die bauen wir als Familie zusammen, auch wenn eher nur mein Vater und ich uns dafür interessieren. Die ist von Märklin“

„Wie toll!“, fange nun ich an zu schwärmen: „Die musst du mir am Montag unbedingt mal zeigen!“

„Wir könnten uns ja auch schon früher treffen“, schlägt Fabian vor während ich die Frontfenster der Lokomotive zeichne: „Wo wohnst du eigentlich?“

Erstaunt stellen wir beide fest, dass wir nicht weit auseinander wohnen. Selbstverständlich wohnt Fabi nicht im selben kleinen verschlafenen Dorf wie ich, sondern in einem nicht grade sehr viel größeren Dorf nur drei Kilometer weg von unserer Wohnung, kürzer sogar noch als den Weg den ich zu Karl zurücklegen musste früher. Auch sehr interessant, „Neu-Schweinfurt“, so heißt das Dorf und der Name „Neu“ ist auch wirklich Programm, denn sehr verdutzt musste ich grade feststellen, dass das Dorf doch allen Ernstes erst seit wenigen Jahren existiert. Schweinfurt war das Dorf hinter der großen Bahnlinie und der großen Autobahn, fast schon im Wald gelegen, in welchem ich in den Kindergarten ging. Schon damals war klar, dass es das Dorf nicht mehr lange geben wird, denn der ganze Wald mitsamt Dorf, mitsamt Kindergarten und sogar mitsamt Autobahn soll abgebaggert werden und einer Kohlegrube weichen.
Was heißt soll, mittlerweile ist das vermutlich auch passiert. Zukunft und so. Natürlich müssen die Leute die bisher in Schweinfurt wohnten wohl in Zukunft wo anders leben und offensichtlich haben sich alle Dorfbewohner zusammengetan und das Dorf neu gegründet, auf dem Feld zwischen meinem Wohnort und dem Ort wo Karl lebt. Einfach so. Ein Dorf auf den Acker gepflanzt. Oder wie Spongebob sagen würde: „Wir nehmen einfach Bikini-Bottom und schieben es wo anders hin!“ So war meine verwunderte Frage an Fabian, wo Neu-Schweinfurt denn läge, gar nicht einmal gespielt. Ein ganzes neues Dorf, wer hätte das gedacht?

„Morgen hätte ich Zeit!“, schlägt Fabian vor, nachdem wir uns über das neuentstandene Dorf unterhalten haben. Vor vier Jahren ist Fabian mit seiner Familie aus dem alten Schweinfurt in das neue rüber gezogen und offensichtlich war er als Kleinkind sogar in dem selben Kindergarten wie ich damals. Ob der sich in den Jahren auch verändert hat? Gerne hätte ich ihn gefragt, doch leider kann ich es nicht und so beschränken sich meine Gedanken bald wieder auf die Gegenwart: „Ich auch! Wollen wir uns morgen vielleicht direkt nach der Schule treffen? Es ist doch Freitag, da müssen wir nichtmal Hausaufgaben machen!“

Fabian scheint meinem Vorschlag nicht grade abgeneigt zu sein und so einigen wir uns schnell darauf, dass er morgen direkt mit mir im Bus nach Hause fährt, vorausgesetzt jedenfalls, dass unsere Eltern uns das erlauben. Aber alleine die Hoffnung sie könnten es erlauben reicht uns aus und so malen wir uns die gesamte restliche Doppelstunde aus, was wir morgen Nachmittag alles machen könnten. Eine Legoeisenbahn bauen die durch die gesamte Wohnung reicht zum Beispiel, ein Riesen-Legoflugzeug welches an Schnüren befestigt mit Motoren durch den Raum gleitet oder einfach nur eine riesen Legostadt. Offensichtlich sind wir beide sehr erleichtert, dass wir Lego im Gegensatz zu vielen unserer Klassenkameraden nicht als Spielzeug für Grundschulkinder abtun sondern verdammt viel Spaß daran haben, eigentlich war das aber ja schon seit unserem Burgenbau im Ikea klar. Wie im Fluge vergeht unsere restliche Kunststunde und mit dem Kommentar von Frau Pfeiffer, dass ich die gleichen Züge malen würde wie Giacomo damals, endet schließlich auch unser Schultag, wir verabschieden uns mit einem Händeschlag und gehen nach dem Schultor getrennte Wege.

Fabi biegt links ab und läuft durch den Park vor der Schule zu seiner Bushaltestelle und ich gehe den gewohnten Weg durch die Nordstadt in Richtung Bahnhof, wo nach laut Giaco mein Bus immer noch zur selben Zeit am selben Ort abfährt. So ist es auch und so betrete ich als einer der ersten den modernen, noch neu riechenden Niederflurbus, nehme direkt beiden Sitze vor der Glastrennwand bei der Vordertür ein und blicke während der Busfahrt gebannt nach vorne und zu den Seiten und schaue mir die Umgebung an. Viel ist gleich geblieben, grade in der ziemlich hässlichen Schulstadt und auf der Landstraße sowieso, allerdings kann ich schließlich kurz vor meiner Endhaltestelle einen Blick auf Neu-Schweinfurt erhaschen, welches Buchstäblich auf dem Acker liegt und noch von Baukränen gesäumt ist.

Schließlich komme ich wieder bei mir zu Hause an und stelle fest, dass hier seit heute Morgen alles beim alten geblieben ist. Wenig überraschend natürlich. Und noch etwas fällt mir auf, ich bin alleine. Früher hätte ich diese optimale Gelegenheit wohl sicherlich dafür genutzt, mir in die Hose zu machen und alle Spuren verschwinden zu lassen bevor meine Mutter nach Hause kommt. Das hat sich jetzt aber wohl erledigt. In die Hose machen ist so outdated, Windeln sind jetzt in! Und zum in die Windel machen muss ich definitiv nicht mehr alleine zu Hause sein wie meine Drynites beweist, das geht nämlich ganz einfach sogar in der Schule! Meinen Schulranzen lasse ich im Flur fallen um meine Hausaufgaben erstmal in meinen Hinterkopf verschwinden zu lassen, gehe in mein Zimmer und genieße die Stille im Vergleich zum Schulvormittag.

Mein Zimmer duftet noch nach dem frischen Holz der neuen Möbel und scheinbar habe ich heute Morgen vergessen, die Heizung abzudrehen, jedenfalls ist es jetzt schön kuschelig warm, wie sich das für so ein Kinderzimmer von einem kleinen Felix gehört. Obwohl ich ja eher ein großer Felix bin, beziehungsweise vielleicht ein mittelgroßer Felix. Andererseits, wenn ich Giaco fragen würde, wäre seine Antwort vermutlich, dass ich schon noch ziemlich klein bin. Und wenn ich mir das so anschaue, ist es manchmal gar nicht schlecht, klein zu sein. Klar, jeder will groß sein und groß sein ist ja auch total cool, wenn ich aber nachdenke wäre es manchmal ganz schön, wieder klein zu sein, wie damals im Kindergarten. Den ganzen Tag nur spielen, ohne lästige Schule. Die endlosen Sommer im Garten, auf dem Fußballplatz, im Wald beim Kindergarten den es bald nicht mehr gibt. In meiner Erinnerung scheint immer die Sonne, war das damals wirklich so? Irgendwie würde ich diese Zeit gerne noch einmal erleben. Den ganzen Tag Spaß, keine Probleme, die Geborgenheit. Irgendwie waren damals alle Menschen glücklich und niemand im Stress, kann das sein? Oder geht das nur mir so?

Während ich ein bisschen traurig in der Vergangenheit schwelge, schlurfe ich ins Bad, klappe das Wickelbrett über die Badewanne und tausche meine nur mäßig benutzte Drynites gegen eine frische, bunte, flauschige Pampers, wie sich das für einen kleinen Felix gehört. Dieselbe Pampers, die ich auch anhaben würde wenn ich noch ein Kindergartenkind wäre. Vermutlich jedenfalls. Linker Klebestreifen, rechter Strebekleifen, äh Klebestreifen, und fertig ist das Windelkind. Nachdem meine Hose in den Wäschekorb gewandert ist und die doofe Drynites in den Untiefen des Windelkorbs verschwunden ist, laufe ich durch den kalten Flur in mein Zimmer, lege mich bäuchlings auf den Autoteppich, krame die Spielzeugautokiste aus dem Regal, fange an, die Teppichstadt mit Autos zu füllen und beginne, so zu tun, als wäre ich ein Kindergartenkind. Sechs Jahre alt vielleicht, offensichtlich natürlich noch nicht windelfrei, dafür aber komplett sorgenfrei. Das wäre irgendwie schon schön, nicht die ganze Zeit, aber für einen Augenblick.

Zu den Spielzeugautos gesellen sich nacheinander kleine Garagen aus Legosteinen passend zur Farbe des jeweiligen Autos, die Autos möchten sich ja immerhin wohlfühlen. Immer tiefer tauche ich ein in die Welt der kleinen lebendigen Spielzeugautos, bemerke irgendwann dass meine Windel plötzlich warm und nass wird und fange schließlich an, an meinem linken Daumen zu nuckeln. Einige Zeit später reißt mich allerdings die Türklingel aus meiner Fantasiewelt und erschreckt mich dabei gehörig. Mit klopfendem Herzen und immer noch nur in Pampers, Sweatshirt und Antirutschsocken laufe ich zum Sprechterminal und nehme den Hörer ab: „Hallo?“ frage ich ganz nüchtern.

„Hi Lexi! Ich bins, wärst du so cool und würdest die Tür aufmachen?“, bittet offenkundig Giacomo um Einlass. Stimmt, der hatte heute ja eine Stunde nach mir Schulschluss und ist jetzt logischerweise auch angekommen. Ich könnte jetzt bevor ich die Wohnungstür öffne schnell in mein Zimmer laufen und mir eine Hose über die Pampi ziehen, stelle aber nach kurzer Überlegung fest, dass ich lieber noch ein bisschen ein Kindergartenkind bleibe.

„Hi Kleiner!“, bemerkt Giacomo passend während er die große Wohnung betritt: „Wie siehst du denn aus? Knuffig. Na, wie war dein Tag? Alles gut gegangen heute?“

„Mmmh“, lächle ich: „Im Kindergarten war es heute ziemlich cool, hab einen neuen Freund kennengelernt. Fabian, der mit dem ich auch im Ikea gespielt hab und der sich da in die Hose gepullert hat, der ist voll cool“, antworte ich ihm indem ich meine heutigen Erlebnisse mit meiner soeben aufgebauten Fantasiewelt vermische: „Aber das gewickelt werden war voll doof, das hat sooooo lange gedauert und wäre eigentlich auch garnicht nötig gewesen“, beende ich meine Erzählung, greife mir demonstrativ vorne an meine Babypampers um zu zeigen wie leer die noch ist, fange nach Vollendigung des Satzes wieder an, an meinem Daumen zu nuckeln und schaue Giacomo grinsend an. Der ist erstmal sichtlich verwirrt, fängt sich dann aber recht schnell, versteht was ich hier grade mache und spielt mit: „Ist ja super, kleiner!“, sagt er, während er sich vor mich hinkniet als wäre ich ein kleines Kind: „Wie siehts aus, hast du Hunger?“ „Hungaah“, lautet die hinter meinem Daumen hervorgenuschelte Antwort.

„Wie heißt das Zauberwort?“, fragt Giacomo, zur Abwechslung mal in einem vollkommen unironischen Ton.

„Büüüüüütte!“, fange ich an zu Quängeln und umarme meinen großen Bruder. Selbiger tätschelt meinen Pamperspo und bemerkt: „Dann geh mal schön spielen, Kleiner, ich ruf dich dann wenn das Essen fertig ist. Ok?“ Das ok am Ende hört sich wieder so an als würde er grade mit einem Kleinkind reden und nicht mit dem Fünftklässler der ich ja wirklich bin. Ich genieße es, kichere kurz und verziehe mich dann wieder in mein warmes Kinderzimmer, spiele weiter und schwelge noch etwas in meinen Erinnerungen. Eine unbestimmte Zeit später, denn ich achte mittlerweile gar nicht mehr auf die Zeit, ist schließlich das Essen fertig, ich lasse mich kurzerhand von Giacomo in die Küche tragen und esse die extra für mich kleingeschnittenen Nudeln mit Tomatensauce. Bevor schließlich meine Mutter nach Hause kommt verwandle ich mich rasch zurück in den großen Felix, oder wie Giacomo sagte, den „minimal größeren kleinen Felix“, ziehe eine Hose über meine süße Pampers, nehme meinen mittlerweile schon fast schrumpeligen Daumen aus dem Mund und setze mich mehr oder weniger freiwillig an meine Hausaufgaben. Nicht ohne vorher Giacomo allerdings in allen Details von meinem tatsächlichen Vormittag zu erzählen, mitsamt der Tatsache dass Fabi morgen mit zu mir kommen wird!











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