Vor einiger Zeit habe ich mich hier vorgestellt – dafür ist dieses Plätzchen ja auch da. Ich wurde nett begrüßt und durfte sogar ein paar sehr interessante Menschen kennenlernen. Wobei „kennen“ wohl etwas übertrieben sein dürfte, da vor allem ein Kontakt leider sehr plötzlich abbrach. Worüber ich eigentlich sehr traurig bin, da ... mir die Gespräche irgendwie nicht aus dem Köpfchen gehen und ich nicht weiß, warum. Aber was hilft es schon, dem Vergangenen nach zu trauern ..?

Und jetzt ist es soweit, dass das kleine Gespenst ausziehen muss. Weil sich viel verändert hat. Sehr viel. Am meisten wohl das kleine Gespenst selbst. Vielleicht mögt ihr ja die kleine Geschichte vom kleinen Gespenst lesen, auch wenn es sich dabei nicht um eine Vorstellung, sondern um einen Abschied handelt?




Das kleine Gespenst verschwindet

Seit langer, langer Zeit spukte das kleine Gespenst durch die alte Burg Eulenstein. Wer es erhaschen mochte, der hatte in der alten Bibliothek am meisten Glück ... Wenn im silbrighellen Mondlicht, das durch die hohen Fenster fiel, feinste Staubkörnchen zu tanzen begonnen, dann war es sehr gut möglich, dass das kleine Gespenst nicht weit davon auf der Lauer lag und sein Unwesen trieb. Denn der kleine Quälgeist liebte es, zwischen den hohen, bis an die Decke ragenden Regalen vorbei zu huschen, die vollgestopft waren mit dicken alten Büchern. Dabei plumpste immer mal wieder eins der bibliophilen Meisterwerke mit einem lauten Poltern auf den Steinboden. Wäre jemand da gewesen, der sich erschrecken konnte – glaubt mir, ihn hätte es bis ins Mark erschüttern. Denn wer würde schon damit rechnen, dass in der großen alten Bibliothek plötzlich und von ganz allein Bücher aus den dunklen Holzregalen purzeln? Das Heulen des Windes dürfte niemanden ernsthaft überrascht haben und auch das Knarren und Knacksen der alten Balken nicht. Aber Bücher fallen nun einmal nicht von selbst ganz plötzlich zu Boden! Mag sich da der- oder diejenige gedacht haben. Wer oder was befindet sich also noch in dem großen Lesesaal oder zwischen den endlos scheinenden Gängen der Bücherwände?
In solchen Momenten freute sich das kleine Gespenst wie ein ... nun, wie ein kleines Gespenst eben! Es Kicherte und Quiekte vor Freude, wenn es ihm gelang, jemand einen gehörigen Schrecken einzujagen. Dabei geschah so etwas aber so gut wie nie. Denn wer verirrte sich schon zur Burg Eulenstein?

Die Burg moderte und alterte vor sich hin. Verfiel. Das Dach war schon lange undicht und das kleine Gespenst hatte sich vom Dachboden, auf dem seine Kiste für den Tagschlaf stand, ins Kellergewölbe zurückgezogen.

Dort war es zwar auch feucht, aber nicht nass! Das kleine Gespenst fand es nämlich alles andere als lustig, wenn es plötzlich aufwachte, weil es in einer großen Pfütze lag. Wohlgemerkt, weil es in Strömen durchs Dach geregnet hatte. Anfangs dachte es ja, dass ihm ein Malheur passiert wäre. Eins von der Sorte, wie es kleinen Kindern hin und wieder passiert und sie aus Versehen im Schlaf einpullern. Gut, dafür war es eigentlich schon zu groß - von seinem Alter ganz zu schweigen - trotzdem hatte es sich, nur zur Sicherheit, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen einfallen lassen.
Gegen die immer größer werdenden Löcher im Dach konnte es allerdings nichts unternehmen. Da halfen leider keine Mull- und Moltontücher, samt Windelhosen, die es in den Kommoden fand.

Von da an schlich es bei Morgengrauen die große steile Wendeltreppe ins Gewölbe hinab – tief in die Katakomben der Burg hinein, wo es nicht gefunden werden konnte und es einigermaßen trocken war. Anfangs hatte es ihn schon einiges an Überwindung gekostet, denn selbst ein Gespenst konnte so etwas ähnliches wie ein mulmiges Gefühl bekommen - erst Recht wenn es noch ein kleines war. Was es nämlich auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren kleine Krabbelviecher! Na ja, vielmehr hatte ihn sein abgrundtiefer Ekel vor Spinnen über den Tod hinaus bis in sein Gespensterdasein verfolgt und war ihm als Marotte geblieben.
Viel Zeit und noch mehr Überwindung hatte der kleine unermüdliche Geist damit zugebracht, sich ein gemütliches Plätzchen zu suchen und einzurichten, an dem es sauber und kuschelig war. Frei von Spinnweben, Moder und Krabbelgetier. Die Sachen aus der Kommode hatte es aber zur Sicherheit mit in seinen neuen Unterschlupf genommen. Man konnte ja nicht wissen.

Eines Tages, es war im bitterkalten Winter und es hatte viele Tage und Nächte lang geschneit, erwachte das kleine Gespenst durch ein donnerndes Krachen. Dick hatte es sich in weiche Decken und Kissen gegraben und hatte tief und fest geschlafen, vielleicht sogar geträumt, als es durch einen Donnerschlag erwachte. Was war geschehen? Dem ersten Donner folgte ein langgezogener zweiter, der in ein markerschütterndes Krachen und Poltern überging und durch die dicken Gemäuer hallte. Auch wenn dem kleinen Gespenst kein Herzschlag mehr bis zum Halse reichen konnte - es war ja ein Gespenst, in dessen Brust nun mal kein Herz mehr schlägt - so zitterte und bibberte es und hatte eine fürchterlich schreckliche Angst. Ja, es hatte Angst. Sehr sogar. Denn solche lauten Geräusche hatte es noch nie gehört. Selbst zu Lebzeiten war der Donnerschlag der Kanonen nicht so laut gewesen und an die konnte es sich noch gut erinnern.
Es musste etwas ganz, ganz schreckliches passiert sein. Etwas, dass plötzlich alles für das kleine Gespenst verändern würde. Das wußte es, konnte es spüren.

Zitternd macht es sich auf den Weg zum Treppenaufgang, um zu sehen, was geschehen war. Dabei war es ihm egal, ob es Nacht war oder Tag. Was sollte schon schlimmeres passieren, als dieses fürchterliche Rumpeln und Krachen? Das Sonnenlicht? Es war winterlich duster; und wenn schon, sollte ihn das Taglicht einschwärzen und zu einem anderen seiner Art - einem schwarzen Taggespenst - machen. Ihm ging sogar der Gedanke durch den Kopf, ob es nicht mit allem vorbei sein könnte. Vorbei mit dem Herumgeistern und Spuken, dem Umherhuschen und sich in Luft auflösen, dem Erschrecken und der gespensterkindlichen Freude dabei.

Es hatte die Gewölbe noch nicht ganz hinter sich gelassen, da sah es mit Entsetzen, was passiert sein musste. Denn das vollständige Ausmaß des Schreckens war so fürchterlich groß, dass ein Krümelchen davon ausreichte, um zu wissen, dass die allerschlimmsten Befürchtungen gerade dabei waren, Wirklichkeit zu werden.

Das kleine Gespenst war allein. Allein in einem Gewölbe, dass zu keiner Burg mehr gehört, weil diese begonnen hatte, eine Ruine zu sein. Der Schnee auf den Dächern war zu schwer geworden. Das Wasser in den Gemäuern, in das es schon lange einsickerte, war gefroren und hatte selbst meterdicke Mauern gesprengt. Jahrhundertealte Balken aus noch älterem Holz waren morsch geworden oder ganz einfach unter der Last geborsten und zersplittert.
Mit offenem Mund schlich das kleine traurige Gespenst in seinem weißen Wollhemdchen über den vielen Schutt, der die Treppe heruntergepoltert war und zog dabei seinen langen Schal wie einen Schatten - den es als Gespenst nicht mehr hatte - hinter sich her. Große Tränen kullerten und tropften seine Wangen hinab, bis sie in der warme Wolle verschwanden.
Die Wendungen der Treppe waren zwar lang und doch lag auf jeder Stufe das Geröll aufgetürmt, das herabgestürzt und die ganze Treppe verschüttet hatte. Mit jedem Stein, den das arme Nachtwesen hinter sich liegen ließ, wog die Traurigkeit schwerer in ihm. Es begann zu glauben, dass nichts mehr ganz sein konnte, wenn so viel zu Bruch gegangen ist. Endlich hatte es das Ende der Treppe erreicht und stand in einer dichten Wolke aus Staub und Schnee, durch die es auf eine fast völlig eingefallene Burg blickte. Kaum etwas war noch übrig. Nur ein Türmchen stand noch und hielt sich wackelig und windschief zwischen und über den Resten der Außenmauern mit den vielen Zinnen.

Der Dunst hatte sich noch nicht ganz gelegt, als plötzlich die finsteren Schneewolken aufrissen und ein goldener Lichtstrahl die Luft zum Glitzern brachte.
Das Gespenst blinzelte und war so starr, dass es gar nicht erst daran dachte sich umzudrehen, die Ärmchen vors Gesicht zu halten oder so schnell wie möglich in den Schatten zu flüchten. So hell wie der Schnee aufblitzte und zu strahlen begann, so schnell begann das kleine Gespenst zu dunkeln. Wie Feuer und abertausende von Nadeln brannte und stach das Sonnenlicht auf seinem Gesicht. Jeder Lichtstrahl tat ihm einzeln weh und es konnte riehen, wie es zu versengen begann. Immer stärker wurde der Schmerz. Fast unerträglich. Doch plötzlich war er weg. Verschwunden. Ebenso, wie die Burg verschwunden war, in der das kleine Gespenst gelebt und gespukt hatte, weil es sein Gespenst war.

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