Hallo zusammen! Das ist die erste Geschichte die ich verfasst habe. Ich würde mich über eine Rückmeldung von eich freuen.



De Kinner vun Pommerholm

I - Montagmorgen


"Du wirst das schon noch verstehen.", sagte Henning.
"Aber ist doch doof, wenn man sein ganzes Taschengeld dafür ausgibt. Da kann ich doch viel bessere Sachen mit kaufen.", antwortete Hennings kleiner Bruder.
Hennings Bruder Ole war ein kleiner aufgeweckter Junge,der am liebsten mit seinen Spielzeugtrecker spielte oder mit seinen besten Freunden Malte und Jonas draußen Detektiv spielte. Henning und Ole lebten in Pommerholm, einem kleinen Dorf mitten im Nirgendwo in Schleswig-Holstein, nur ein paar Minuten von der Ostsee entfernt. Pommerholm war ein kleines verschlafenes Dorf mit ungefähr 350 Einwohnern. Hier schien die Zeit stillzustehen. Es gab noch Telefonzellen, eine kleine Dorfkneipe und einen kleinen Hofladen, den die Eltern von Malte neben der Landwirtschaft betrieben. Viele Familien lebten dort, was dazu führte, dass immer etwas los war im Dorf. Die jüngeren Kinder spielten draußen zusammen, bis es Abendbrotszeit war und die älteren Jugendlichen organisierten Feiern für die anderen Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern.
Hier tobte das Leben. Für jeden war etwas dabei.
Henning und sein kleiner Bruder diskutierten über Markenkleidung. Das war in Oles Klasse jetzt total angesagt: Bench, Humör, Björkvin und Jack & Jones. Ole konnte nicht verstehen, wie man sein Taschengeld für Klamotten, anstatt für einen neuen Spielzeugtrecker oder das neuste Lustige Taschenbuch ausgeben konnte. Ihm machte es nichts aus, mit Mama zu C&A zu gehen und in der Kinderabteilung neu eingekleidet zu werden. Die anderen Jungs in seiner Klasse hingegen legten seit einiger Zeit großen Wert darauf, immer bestens gekleidet und mit hochgegelten Haaren in der Schule zu erscheinen. Tja, die sechste Klasse ist nunmal nicht einfach, wenn man noch nicht in der Pubertät ist.
Henning hatte Verständnis dafür. Der Sechzehnjährige hatte selbst die Erfahrung gemacht wie es war noch mit Siku-Treckern zu spielen, während die Anderen heimlich im Wald an der Schule Zigaretten rauchten. Heute war das allerdings anders: Er war nun derjenige, der seiner Mutter sagte, er habe nicht geraucht, wenn er von einer Feier bei Philipp nach Hause kam. Das entsprach zwar selten der Wahrheit, aber seine Mutter tat wenigstens so als würde sie ihm glauben. Die Jahre des Erwachsenwerdens hatten auch mit Sechzehn Jahren schon Spuren hinterlassen: Ein gepflegter Stoppelbart zierte sein sonnengebräuntes Gesicht und durch seinen Nebenjob auf dem Bauernhof von Maltes Eltern war er einigermaßen muskulös geworden. Alles in Allem war er ein typisches Dorfkind fortgeschrittenen Alters, der am Wochenende bei Cola-Korn und Bier mit seinen Freunden über den neusten Fendt diskutierte und sich nebenbei als Erntehelfer das Geld für das zukünftige Maschienenbaustudium erarbeitete.
Ole war ein zwölfjähriger Junge, der noch nichts davon verstand, wie man "cool" ist. Es interessierte ihn nicht, welche Klamotten er trug oder wie seine Frisur aussah. Er genoss einfach sein Leben, egal welche Wendungen es grade nahm. Aber genau das machte ihn zur Zielscheibe für die Jungen seiner Klasse, die vor lauter Pubertätsproblemen nicht wusste, was sie eigentlich tun. Aber Ole war das egal. Er hatte ja Jonas und Malte. Die drei Jungs waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Alle drei wohnten im beschaulichen Pommerholm, alle drei gingen in die gleiche Klasse des Klaus-Störtebeker-Gymnasiums und alle drei hatte sie sich geschworen, nie so wie die Anderen zu werden. Komme was wolle!
"Ja schon, aber wenn du erstmal älter bist, wirst du dir da mehr Gedanken drüber machen. Das kommt noch, glaub mir.", grinste Henning.
"Nö, bei mir nicht!",beharrte Ole auf seinem Standpunkt.
Henning schmunzelte: "Ach Kleiner. Ich will dich doch nur ärgern. Du bist gut so wie du bist."
Es war ein Montagmorgen im Mai 2011. Im Radio lief, wie jeden Morgen, NDR 1 mit den besten Hits aus dem letzten Jahrtausend. Die Auswahl war nach Hennings Meinung ganz in Ordnung, allerdings blieb den beiden Brüdern auch keine Wahl, da ihre Eltern keinen anderen Sender um diese Uhrzeit akzeptieren würden. Ihr Vater war ein ziemlicher Morgenmuffel,der vor dem ersten Kaffee nur unverständliche plattdeutsche Sätze hervorbrachte und am Frühstückstisch sein Gesicht in der Tageszeitung vergrub.
Ole saß auf seinem Stammplatz am großen Küchentisch, direkt an der Tür. Vor zehn Minuten stand er noch unter der warmen Dusche, da ihm in der Nacht ein kleines Missgeschick passiert war. Das kam zwar nicht mehr so oft wie früher vor, aber schon so zwei bis dreimal im Monat. Wenn er sein Bett nass gemacht hatte, schickte ihn seine Mama erstmal unter die Dusche, während sie sich um die Decken, Bettlaken und Oles Schlafanzug kümmerte. Es war eine eingespielte Prozedur, wo niemand mehr etwas zu sagte. Oles Eltern wussten, dass ihr Jüngster nichts dafür konnte und Henning wusste selbst wie es ist, Bettnässer zu sein. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hatte er das selbe Problem. Er war es auch, der seinen Eltern die Windeln für seinen kleinen Bruder ausredete. Nicht ganz uneigennützig natürlich: Es war ihm vor ein paar Jahren einfach schrecklich peinlich, wenn er während des großen Einkaufs am Wochenende mit einer Packung Windeln an der Kasse stand. Und so kam es, dass Ole seit zwei Jahren keine Windel mehr für die Nacht anbekam. Ole selbst hatten die Windeln nie gestört. Sie gehörten irgendwie dazu. Damals wussten alle seine Freunde, dass er diese nächtlichen Probleme hatte. Er stand auch nicht alleine damit da: Jonas hatte in der Grundschule das selbe Problem. Nur gingen seine Eltern nicht so entspannt damit um. Ständig musste er zu irgendwelchen Ärzten oder irgendwelche angeblichen Wunderpillen schlucken. Hat natürlich nicht wirklich funktioniert. Irgendwann hörte es von selbst auf, wie das nunmal so ist. Auf diesen Zeitpunkt wartete Ole noch. Mama hatte ihm einen großen Schokoladenkuchen versprochen, wenn er einen ganzen Monat lang trocken ist. Aber durch den kleinen Unfall heute Nacht war Ole wieder ein ganzes Stück von seinem Schokoladenkuchen entfernt.
Henning warf einen Blick auf seine Uhr."Oha, noch schnell Zähne putzen und dann müssen wir auch los!", sagte er.
"Och nöö!", stöhnte Ole auf. Es war doch grade so gemütlich.
Beide machten sich auf den Weg ins Badezimmer im ersten Stock des Backsteinhauses. Es war ein relativ großes Badezimmer mit hellen Fliesen und holzverkleideten Außenwand. Vor dem Waschbecken lag ein blauer flauschiger Teppich, damit man an kalten Wintermorgen keine kalten Füße bekam. Es war zwar kein Winter, aber trotzdem wollte niemand auf diesen Komfort verzichten. Die Jungs schnappten sich ihre Zahnbürsten und putzen sich hektisch die Zähne. Die Zeit drückte! Morgens zur ersten Stunde fuhr nur ein Bus zu ihrer Schule und zum Fahrradfahren war die Zeit nun auch schon zu knapp. Also spülten sie sich schnell den Mund aus und holten noch schnell ihre Schultaschen aus ihren Zimmern. Henning hatte eine coole schwarze
Umhängetasche von Eastpack,die er mit Aufnähern seiner Lieblingsbands versehen hatte: Dropkick Murphys, Iron Maiden und Linkin Park. Ole dagegen hatte den typischen Eastpack-Rucksack in dunkelblau. Eilig stürmten sie nach unten und wollten schon durch die Haustür ins Freie treten, da rief ihre Mutter: "Haaalt! Ihr habt eure Brote vergessen. Nicht, dass ihr mir noch verhungert."
Sie schnappten sich die Brotdosen und machten sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Es war schon recht warm an diesem Maimorgen. Die Vögel zwitscherten auf den Bäumen am Wegesrand und die ersten Autos mit gestressten Menschen auf dem Weg zur Arbeit brausten durch das kleine Dorf. Sie erreichten die Bushaltestelle grade noch rechtzeitig, was beim bereits dort warteten Philipp mal wieder ein hämisches Grinsen im Gesicht hervorrief. Es war eine Art Running-Gag geworden, dass Henning und Ole jeden Morgen fast den Bus verpassten.
"Na ihr seit ja mal wieder früh hier!", rief Philipp noch, wärend sich die Tür des Busses öffnete und die beiden Brüder als letztes einstiegen. Im Bus setzten sich Ole, Jonas und Malte in einen der Vierer-Sitze, welche meistens zu ihrem Glück noch nicht besetzt waren. Henning und Philipp setzten sich in die hintere Reihe, wo schon andere Jugendliche auf sie warteten.
Die Busfahrt verlief jeden Morgen relativ unspepktakulär. Alle redeten miteinander und tauschten sich über die Ereignisse vom Wochenende aus. Nach und nach klapperte der Bus alle Haltestellen auf dem Weg zur Schule ab und bog schließlich in die lange Schulstraße ein, wo nur wenige Häuser standen. Die Schule lag direkt am Wald, den man jedoch nicht betreten durfte. Jedenfalls nicht in den Pausen. In den Sommerferien hatten Ole, Malte und Jonas vor, nur mit belegten Broten und Walkie-Talkies bewaffnet durch den unbekannten Wald zu gehen. Wer weiß? Vielleicht hatte die Regierung dort ein streng geheimes Labor in dem abgestürzte UFOs untersucht wurden. Man hätte ja mit Allem rechnen müssen, so verboten der Wald während der Schulzeit war. Henning hatte die Jungs allerdings darüber aufgeklärt, dass der Wald gar nicht so verboten ist wie sie dachten. Es hatte lediglich versicherungstechnische Gründe, dass die Schüler da nicht hingehen durften. Und Ole dachte schon, dass sie da einer ganz großen Sache auf der Spur gewesen wären.
Als der Bus anhielt, machten sich gefühlt 90% dessen Passagiere auf den schnellsten Weg nach draußen. Am Ende der Straße standen eine Reihe von Bushaltehäuschen, da die Schüler aus einem ziemlich großen Einzugsgebiet kamen. Dort traten Ole und sein großer Bruder nun ins Freie und machten sich schleunigst auf den Weg in die große Aula, um den Vertretungsplan zu inspizieren. Allerdings war hier weder die 6a noch die 10c aufgeführt. Also machten sich die Jungs auf den Weg in ihre Klassenzimmer.
Ole's Klassenraum war im ersten Stockwerk der Schule. Er ging den langen und kalten Flur entlang und sah Jonas bereits an den Tischtennisplatten warten.
"Hey Ole! Wie geht's?", fragte der ebenfalls Zwölfjährige.
"Moin Jonas. Ganz gut eigentlich. Sollen wir gleich 'ne Runde Tischtennis spielen?", antwortete Ole.
"Oh ja, gute Idee!"
"Prima, ich bring nur noch schnell meinen Ranzen zum Klassenraum. Bis gleich!"
Ole flitzte davon. An den roten Schließfächern vorbei zum Treppenhaus, eine Etage höher und dann direkt links. Die Lage seines Klassenraumes hatte diverse Vorteile: Man war einer der Ersten in der Mensa oder an den Tischtennisplatten. Nur die Toiletten waren am anderen Ende des Ganges, wodurch man den Gang zum Klo nicht allzu lange hinauszögern sollte.
An den Wänden des Raumes hingen große Plakate über englische Grammatik, Bruchrechnen und anderen Themen der letzten Unterrichtswochen. Die Schülertische waren in einer U-Form aufgestellt, da die Klassenlehrerin keine Lust mehr hatte, über die Sitzverteilung an Gruppentischen zu diskutieren. Daher hatte sie, komplett undemokratisch, die Sitzordnung geändert um mehr Ruhe in die Klasse zu bringen. Sofern man bei einer sechsten Klasse von Ruhe sprechen kann.
"Ey Fischkopf!", rief ein Junge mit halblangen, gegelten, blonden Haaren aus der hinteren Reihe zu Ole.
"Halt die Klappe Chris!", antwortete Ole, ohne den Jungen eines Blickes zu würdigen, stellte seinen Ranzen an seinen Platz und verschwand aus dem Klassenraum.
"Geh spielen du Opfer!", rief ihm Chris noch hinterher.
'Dummes Arschloch!', dachte sich Ole, während er in Richtung der Tischtennisplatten ging.
Chris war einer der coolen Kinder der 6a. Einer dieser hochnäsigen pubertären Jugendlichen, die nur in Markenklamotten rumliefen und sich ultra geil fühlten. Ole und seine Freunde waren immer eine Zielscheibe für diese Kinder gewesen: Sie waren zu kindisch. Jedenfalls in den Augen der Klassenkameraden. Ole versuchte stehts, diese Sticheleien zu ignorieren. Dass hatte ihm jedenfalls sein großer Bruder geraten. Der musste das ja schließlich wissen: Vor vier Jahren war er in einer ähnlichen Situation. Henning sagte immer, dass es in ein paar Jahren vorbei sein wird mit dem ganzen Quatsch und dann wieder andere Dinge zählen. Gute Noten zum Beispiel. Er war zwar kein klassischer Streber, aber er hatte seinen Notendurchschnitt im letzten Schuljahr doch ziemlich verbessert, trotz Nebenjob und versoffener Wochenenden. Daher ermahnte er seinen kleinen Bruder auch stehts seine Hausaufgaben ordentlich zu machen, da Ole meist kein Satzzeichen zuviel machte und die Aufgaben nur halbherzig erledigte, damit er mehr Zeit zum Spielen hatte. Zum Glück war Ole leicht bestechlich. Für seine letzte Eins in Mathe wurde er vo Henning belohnt und durfte mit dessen Moped über die Koppeln heizen. Die Zündapp CS 50 war zwar etwas groß für den Zwölfjährigen, aber er hatte trotzdem wahnsinnigen Spaß dabei. Tja, kleine Brüder sind so schön beeinflussbar, sowohl im Lernverhalten als auch beim Musikgeschmack. Obwohl Ole für Iron Maiden und Co. definitiv zu jung war. Aber immerhin hörte er nicht so asoziale Musik wie Chris und seine "coolen Freunde".
Schnellen Schrittes ging Ole durch das mit roten Backsteinen gemauerte Treppenhaus, welches von Graffities eines Kunstkurses der Oberstufe verschönert wurde, nahm zwei Treppenstufen auf einmal und lief die letzten Meter zu den Tischtennisplatten. Dort stand ja bereits Jonas und wartete ungeduldig auf ihn. Es war bereits 10 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn.
"Da bist du ja endlich!", rief Jonas und warf Ole einen kleinen weißen Tischtennisball zu.
"Hab ich Aufschlag? Ja Chris der Affe hat mich mal wieder angemault.", antwortete Ole.
"Ach der soll mal schön die Klappe halten! Kann froh sein, wenn er in die Siebte Klasse versetzt wird bei seinen Noten.", lachte Jonas. Da lag er gar nicht mal so falsch. Chris war nicht gerade ein guter Schüler. Die meiste Zeit malte er irgendeinen Blödsinn in seinen Collegeblock oder unterbrach den Unterricht mit blöden Sprüchen. Meist zulasten anderer Mitschüler.
Ole schlug den Tischtennisball mit seinem Schläger herüber zu seinem Mitspieler. Kurz nachdem der Ball auf die dunkelgrüne Fläche der Platte auf Jonas Seite aufkam schlug dieser den Ball wieder zurück. So ging es die nächsten Minuten bis der vierfache Gong durch alle Flure der Schule dröhnte und allen das Zeichen gab, dass der Unterricht nun beginnt. Blitzschnell liefen die beiden Jungs los in Richtung Klassenraum und setzten sich auf ihre Plätze auf der vorderen rechten Seite der U-Formation. Die Tür des Klassenraumes wurde mit einem Schwung aufgestoßen und herein kam Herr Oslowski. In der linken Hand einen Stapel Unterlagen und in der rechten eine große DMAX-Kaffeetasse. Er war der Deutschlehrer der 6a. Ein stehts gut gelaunter, mitte Dreißig jähriger mit nicht mehr allzu vollem Haar.
"Guten Morgen meine Damen und Herren!", sagte Herr Oslowski mit stahlendem Lächeln.
"Guten Morgen Herr Oslowski!", antwortete die Klasse müde und monoton.
"Na habt ihr mal wieder die ganze Nacht lang euer Taschengeld beim Pokern verzockt, oder warum seid ihr noch halb im Land der Träume?", witzelte der Lehrer und sortierte seinen riesige Papierhaufen auf dem großen Lehrertisch. Währenddessen verfiel die Klasse in lautstarkes Gerede, wodurch Herr Oslowski ebenso lautstark die Hausaufgabenkontrolle ankündigte. Nach und nach kramte nun jeder seinen Deutschordner hervor und schlug den heute fälligen Bericht über ein fiktives Ereigniss auf. Ole hatte sich damit große Mühe gegeben. Er hatte den Text im Stil eines Polizeiberichtes verfasst und konnte es nun kaum erwarten diesen vor der ganzen Klasse vorzutragen.
Vereinzelt meldeten sich nun Schüler, um freiwillig ihre Berichte der Klasse vorzulesen. Chris war natürlich nicht dabei. Er hielt es nicht für nötig, seine Hausaufgaben zu machen, oder auch nur anzugucken. Im Lehrerzimmer des Klaus-Störtebeker-Gymnasiums war er daher schon als Strichekönig bekannt, da man für jede unerledigte Hausaufgabe einen Strich bekam.
Heute hatte Ole Glück: Er durfte als erstes seinen zweiseitigen Polizeibericht vorlesen.
"Ich hab einen Polizeibericht über einen Banküberfall geschrieben.", leitete der Zwölfjährige seinen Bericht ein.
"Ja, als ob ein Bettnässer wie du Polizist werden könnte!", stänkerte Chris aus der hinteren Reihe der U-Formation.
"So, jetzt reicht mir das mit dir!", brüllte der sonnst so gut gelaunte Herr Oslowski mit verärgerter Miene.
"Keine Hausaufgaben machen uund denn auch noch den Unterricht stören?! Jetzt hast du in der nächsten Pause offiziell einen Termin beim Direktor! Und jetzt ab vor die Tür."
Chris stand auf und verließ mit lässigem Gang den Klassenraum. Nun kehrte wieder Ruhe ein, sodass Ole seinen Bericht ohne erneute Unterbrechung vortragen konnte.

Währenddessen im Klassenraum der 10c, am anderen Ende der Schule:
"Alter, wo zur Hölle ist Lazlo?!", fragte Henning seine Klassenkameraden.
"Kein Plan. Der liegt bestimmt noch im Bett.", antwortete Philipp.
"Es klingelt gleich. Babushka bringt ihn um, wenn her heute wieder zu spät ist!"
Babushka,eigentlich Frau Dr. Oksana Kowaljowa, war die Mathe- und Klassenlehrerin der 10c. Eine kleine Frau Anfang 60, die von allen Schülern der 10c nur liebevoll Babushka genannt wurde, da sie in Moskau studiert hatte und dann für ihre Promotion nach Ost-Berlin gezogen war. Nach der Wende ging sie in den Schuldienst für Mathemmatik und Chemie. Da sie von der großen Stadt Berlin genug hatte, zog sie nach Schleswig-Holstein, kaufte dort ein Haus und lernte ihren Lebensgefährten kennen. Sie war eine sehr engagierte Lehrerin, sehr streng, aber auch sehr herzlich. Mehrmals im Schuljahr lud sie ihre Klasse zu sich nach hause ein und verwöhnte sie mit Spezialitäten der russischen Küche. Natürlich nicht ohne die chemischen Abläufe im Kochtopf präziese zu erläutern.
Die Tür des Klassenraumes wurde geöffnet und Frau Dr. Kowaljowa trat herein. Sie sah blass aus. So als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.
"Ich hatte gestern einen Telefonanruf.", begann sie vor der Klasse mit zittriger Stimme zu sprechen.
"Von Laslo's Mutter. Er liegt im Krankenhaus und wird daher heute nicht zum Unterricht erscheinen."
Sie drehte sich zur Tafel und schrieb mit Kreide eine chemische Summenformel an: C9H13N.
Die Klasse blickte sie fragend an. Alle waren schockiert. Lazlo,ein sehr beliebter siebzehnjähriger Schüler, lag im Krankenhaus. Er war der Exot der Klasse: Lange braune Locken bis zu den Schultern, etwas hagere Gestalt, wahnsinnig verplant mit einem unnatürlichen Musikgeschmack. Er liebte alte Technomusik aus den 90er-Jahren: Dune, Bonzai-Records, Thunderdome, Gabber. Alles Worte mit denen kein Anderer etwas anfangen könnte. Er kam aus gutem Hause. Sein Vater war Banker und seine Mutter Biologin. Er sagte immer nur, dass er aus diesem Spießerleben ausbrechen wollte. Daher ging er nicht mehr allzu oft zum Frisör und verbrachte die Wochenenden meist auf irgendwelchen Technopartys. Seine Eltern ließen ihn gewähren, da sie eh keinen Einfluss mehr auf ihn hatten. Bald würde er eh volljährig werden und bis dahin wollten sie die ehr freundschaftliche Beziehung zur ihrem Sohn nicht gefährden.
"Das ist die Summenformel für Amphetamin. Deswegen liegt Lazlo im Krankenhaus.", fuhr Dr. Kowaljowa fort. "Ich will wissen, ob ihr davon wusstet. Nimmt Lazlo schon länger Drogen? Ihr kennt ihn doch. Was ist da los?!", sie überschlug sich fast beim Sprechen und musste ihre Tränen zurückhalten. Jeder ihrer Schüler lag ihr am Herzen und sie konnte sich nicht vorstellen, dass einer ihrer Schützlinge Drogen konsumierte.
"Ja ab und zu hat der mal 'nen Joint geraucht, aber harte Drogen? Davon wüsste ich nichts.", warf nun Benny in den Raum.
"Lazlo ist doch ständig auf solchen Technopartys. Das siet man doch ständig im Fernsehen, was die da für'n Scheiß durch die Nase ziehen!", steuerte nun Annabell ihren Beitrag zur Debatte hinzu.
"Ey, als ob Lazlo so dumm wäre. Das glaubst du doch selbst nicht!", rief nun Philipp empört.
"Ja echt mal. So blöd ist der nicht!", pflichtete Henning seinem besten Kumpel zu.
"Ich habe schon den Direktor und die Polizei informiert. Vielleicht hat er das Zeug hier in der Schule von irgendjemandem gekauft. Wenn ihr irgendetwas darüber wisst, oder selbst da mit drinsteckt, könnt ihr euch jederzeit an mich wenden!", sagte Dr. Kowaljowa und blickte in die leeren Gesichter ihrer Schüler. Alle waren entsetzt. Drogen hatten hier in der Kleinstadtidylle keinen Platz. Es passte nicht ins Bild. Schon gar nicht ihn ihrer Klasse,welche sogar schon Preise in naturwissenschaftlichen Wettbewerben auf Bundesebene gewonnen hatte.
In Henning's Kopf zeichnete sich ein Bild purer Verzweiflung. Er verstand sich immer gut mit Lazlo. Außerschulischen Kontakt hatten sie zwar kaum, aber sie waren schon sowas wie Freunde. So hatte er ihn nicht eingeschätzt. Aber vielleicht hatte er das Zeug ja gar nicht bewusst genommen. Was wenn ihm jemand etwas in sein Getränk getan hatte? Oder hatte er wirklich ein Drogenproblem? Wann würde er wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden? Hatte er das Amphetamin tatsächlich hier in der Schule gekauft? Tausend Fragen schossen Henning durch den Kopf. Nach ihrer Ansprache wischte Dr. Kowaljowa die Tafel und began mit dem Matheunterricht. Jedoch war kaum ein Schüler wirklich bei der Sache. Durch die Neuigkeiten war ein produktiver Unterricht kaum möglich. So verging die Doppelstunde ohne nennenswerte Ereignisse. Alle rechneten ihre Aufgaben zur Trigonometrie und warteten auf die Pause um untereinader über alles zu reden.
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